Die eisblaue Spur
Augen zusammen und wirkte nachdenklich.
»Ich brauche Geld – sonst würde ich nicht mit
Ihnen reden. Wie viel bekomme ich dafür?«
»Kommt drauf an, was Sie
mir erzählen.« Dóra hoffte, dass Matthias und der
Arzt nicht herbeistürmen und die Frau vertreiben würden.
Sie wusste etwas. »Ich brauche Informationen über zwei
Männer, die vor kurzem verschwunden sind.«
Die Frau atmete aus, und
Dóra roch wieder die säuerliche Alkoholfahne.
»Ich weiß, welche Männer Sie
meinen.«
Dóra versuchte, ihre
Nervosität zu verbergen. Ob die Männer hier im Dorf
waren? »Haben Sie sie gesehen?« Die Frau
schüttelte eifrig den Kopf. »Waren sie hier im Dorf, als
die anderen schon abgereist
waren?«
»Einer von ihnen. Der
Fette. Er war allein hier.«
»Wann war das? Was wollte
er?« Dóra verstummte. Sie musste sich mit ihren Fragen
zurückhalten, obwohl ihr tausend Dinge durch den Kopf
schossen. Matthias und Finnbogi hatten das Foto der Bohrmänner
mitgenommen. Wenn Dóra nicht alles täuschte, war Bjarki
wesentlich kräftiger als Halldór.
Die Frau zuckte mit den
Schultern, wobei ihr hellblauer Anorak hochrutschte. Er war so dick
und steif, dass es einen Moment dauerte, bis er wieder
heruntergerutscht war, so dass die Frau einen Moment lang so
aussah, als hätte sie keinen Hals. »Ich weiß nicht
genau. Vor über einer Woche. Vielleicht auch zwei. Er wollte
telefonieren.«
»Telefonieren?«
Dóra konnte sich nicht erinnern, dass von einem
Telefongespräch die Rede gewesen war. Die Verbindung ins Camp
war wenige Tage, nachdem die Bohrmänner allein
zurückgeblieben waren, abgerissen. Danach hatte keiner mehr
Kontakt zu ihnen gehabt. »Wissen Sie, wen er anrufen
wollte?«
Die Frau sah Dóra mit
aufeinandergepressten Lippen an. »Bezahlen Sie mich auch ganz
bestimmt?« Dóra bejahte, und die Frau sprach
schleppend weiter. »Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich
die Polizei oder einen Arzt. Danach hat er wohl
gefragt.«
»Und hat er
telefoniert?« Vielleicht waren die Männer verhaftet
worden und wurden ohne Wissen der isländischen Behörden
aus irgendwelchen bürokratischen Gründen in einem
grönländischen Gefängnis festgehalten. Vielleicht
wegen der Leiche, die sie im Eis gefunden hatten.
»Nein«, antwortete
die Frau. »Keiner wollte ihn reinlassen. Er war irgendwie
seltsam. Ich hätte ihm nie aufgemacht. Ich hab versucht, ihm
durch die Tür zu sagen, dass er besser nach Hause fahren soll.
Aber er hat nicht zugehört.«
»Woher wissen Sie, dass er
nicht nach Hause gefahren ist?«
»Tja, als ihm klar wurde,
dass keiner ihn telefonieren lassen würde, ist er wieder
gegangen, und er hätte nirgendwo anders hinfahren können
als ins Camp. Von hier aus kommt man nur mit dem Hubschrauber ins
nächste Dorf. Seit die große Gruppe weg ist, war kein
Hubschrauber mehr hier – bis Sie gekommen sind. Es
führen keine Straßen hierher. Der Mann hatte auch kein
Boot, abgesehen davon, dass er damit sowieso nicht alleine durchs
Eis hätte fahren können.«
»Und mit einem Hunde- oder
Motorschlitten?« Dóra hatte auf dem Gelände einen
Motorschlitten gesehen. Bergtækni musste mehrere besitzen.
Vielleicht hatten die Männer versucht, mit so einem Fahrzeug
zu einer südlicheren Siedlung zu gelangen, und waren dabei
umgekommen.
»Mit einem Hundeschlitten
auf keinen Fall«, sagte die Frau nachdrücklich.
»Es gibt hier niemanden, der ihn mitgenommen hätte, und
er hat keine Hunde und keinen Schlitten geklaut. Das hätte ich
mitbekommen. Und Motorschlitten habe ich keine gehört. Sie
sind sehr laut, und die Hunde bellen immer.« Sie steckte ihre
Hände in die Anoraktaschen und zuckte wieder mit den
Schultern. »Die Hunde wissen, dass ihnen von Motorschlitten
Gefahr droht. Manchmal ersetzen sie die Hunde. Aber nicht
immer.« Sie merkte, dass sie vom Thema abkam. »Keiner
hier hätte den Mann auf einem Hunde- oder Motorschlitten
mitgenommen.«
»Warum nicht? Wenn er doch
Hilfe brauchte?« Dóra vermutete, dass die Frau nicht
so gut über die Geschehnisse im Dorf Bescheid wusste, wie sie
vorgab. »Habt ihr was gegen Fremde?«
Die Frau verzog das Gesicht.
»Wir haben nichts gegen Fremde. Wir haben nur ein Problem mit
dem Platz, den ihr für das Camp ausgesucht habt. Da soll
niemand sein. Ihr stört das Böse, das dort wohnt, und
bringt uns dadurch alle in Gefahr. Wir wollen nur, dass ihr
woanders hingeht.«
»Was ist denn mit dem
Gelände?«
Die Frau wirkte angespannt.
»Das verstehen Sie nicht. Ich
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