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Die eisblaue Spur

Die eisblaue Spur

Titel: Die eisblaue Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
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dann die Leiche entdeckt haben, wurden sie auch
getötet?«
    Alle nickten nachdenklich,
außer dem Arzt, der mit verschränkten Armen dastand,
einen übellaunigen Ausdruck in seinem wettergegerbten Gesicht.
»Mir ist nicht klar, warum dieser geheimnisvolle Mörder
die Frau überhaupt töten sollte, geschweige denn die
Männer, die ihre Leiche gefunden haben. Wozu?« Bella
hatte den Arzt am Morgen beleidigt, nachdem er sie erneut auf die
Schädlichkeit des Rauchens hingewiesen hatte. Sie hatte ihm
gesagt, er solle sich nicht in Dinge einmischen, die ihn nichts
angingen, sie würde ihn schließlich auch nicht
ständig darauf hinweisen, dass er Haarausfall
hätte. 
    »Weiß ich doch
nicht«, sagte Bella von oben herab. »Vielleicht haben
sie an der Leiche was entdeckt, das auf den Mörder
schließen lässt. Irgendeinen Beweis.«
    »So ein Unsinn.« Der
Arzt wandte sich an Matthias. »Das ist absurd. Wir
können noch nicht mal mit Sicherheit sagen, dass da
überhaupt eine Leiche gelegen hat. Geschweige denn die Leiche
dieser Frau.«
    »Na klar«, sagte
Bella sarkastisch. »Das würde es natürlich viel
leichter machen, wenn wir noch einen Toten
hätten.«
    Dóra räusperte sich.
Als wäre es noch nicht anstrengend genug, ständig
zwischen Friðrikka und Eyjólfur Frieden stiften zu
müssen. »Dieser Fall ist alles andere als leicht.
Vergesst nicht die Knochen in den Schreibtischen.« Sie
versuchte, aufmunternd zu lächeln. »Aber wir finden
hoffentlich bald eine Erklärung. Ich hab zwar im Moment nicht
das Gefühl, dass wir auf dem richtigen Weg sind, aber das kann
sich schnell ändern.«
    »Stimmt.« Matthias
versuchte ebenfalls zu lächeln, was ihm genauso misslang wie
Dóra. »Wir sollten keine Zeit vergeuden, indem wir uns
streiten.« Er wickelte das Küchentuch von dem kleinen,
durchlöcherten Knochen, der von dem geschmolzenen Eis noch
feucht war. Dann hob er vorsichtig die Figur hoch. Den Tupilak. Die
Figur starrte sie mit entblößten Zähnen an, und
obwohl sie nicht groß war, war ihre Scheußlichkeit
beeindruckend. »Ich glaube, wir sollten im Dorf jemanden
suchen, der uns helfen kann. Vielleicht haben ja die Dorfbewohner
die Bohrmänner gesehen und können die Jacke, die
Schneeschuhe und den Knochen erklären.« Schnell
verließ ihn sein Optimismus wieder. »Aber vielleicht
haben die Sachen auch gar nichts mit der Leiche im Eis zu tun.
Unsere einzige Hoffnung ist jedenfalls im Moment, dass die
Dorfbewohner eine Erklärung dafür haben. Wir sollten
gleich
losfahren.«         
    »Die helfen euch bestimmt
nicht«, murmelte Friðrikka. »Die Dorfbewohner waren
total feindselig, als wir sie nach Oddný Hildurs
Verschwinden um Hilfe gebeten haben. Die sagen garantiert
nichts.«
    »Das wird sich ja dann
zeigen«, sagte Dóra. »Wir können es
zumindest versuchen.« Sie dachte an die leeren Straßen
und die abweisenden Blicke der Mädchen, die sie gesehen hatte.
Dóra bekam eine Gänsehaut und wusste nicht, ob sie der
zunehmenden Kälte oder dem Gedanken an die unfreundlichen
Reaktionen in dem kleinen Dorf am Ende der Welt zuzuschreiben war.
Die schwarzen, stechenden Augen der Mädchen tauchten immer
wieder vor ihr auf. Sie hatte Angst, ins Dorf zu fahren. Aber es
war unumgänglich.

12.
Kapitel
    21. März
2008 
    Das Dorf war genauso, wie
Dóra es sich vorgestellt hatte – verschlafen und
finster. Die Einwohner schienen Angst zu haben, vor die Tür zu
gehen. Die Straßen waren immer noch menschenleer, und ein
dünner Nebelschleier verlieh der Situation etwas Unwirkliches.
Als sie die Anhöhe zwischen dem Camp und dem Dorf hinabfuhren,
sahen sie, wie sich der Nebel über das bunte Dorf legte
– so als hätten die Einheimischen ihn bestellt, um den
Fremden die Sicht zu nehmen. Das Licht war seltsam. Obwohl die
Sonne am Himmel stand, strahlte sie nur schwach und war bereits im
Begriff, wieder unterzugehen.
    Sie waren zu dritt unterwegs:
Dóra, Matthias und Finnbogi. Eyjólfur versuchte in
der Zwischenzeit, die Satellitenschüsseln zu reparieren, und
der Rettungsmann hatte sich angeboten, ihm zu helfen. Bella sollte
die handgeschriebene Liste über die technische Ausrüstung
in elektronische Form bringen, und Friðrikka machte sich weiter
mit dem Projektstand vertraut.
    Der Arzt schaute zu Dóra.
»Wo sollen wir anfangen?« Er hatte auf dem Hügel
angehalten, und sie beobachteten stumm, wie der Nebel das Tal
einhüllte.
    Matthias zeigte durch die
Windschutzscheibe. »Da waren eben zwei oder drei Leute

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