Die eisblaue Spur
gesunken war. Hoffentlich hatte er ihn nicht
gesehen, als er mit blutverschmierten Händen vor einer Beute
gestanden hatte, mit der sich kein Jäger brüsten
konnte.
Die Kopfschmerzen kamen langsam
zurück, und Naruanas Hand schmerzte stärker denn
je.
13.
Kapitel
21. März 2008
Dóra beobachtete, wie
Matthias und Finnbogi zum nächsten Haus gingen, an die
Tür klopften und geduldig warteten. Da kein Haus so aussah wie
eine öffentliche Einrichtung, klopften sie einfach
überall an. In den Straßen war niemand unterwegs, den
sie hätten fragen können. Am Anfang war Dóra noch
mit den beiden Männern von Haus zu Haus gegangen, aber da ihr
Erfolg gen null ging, hatte sie beschlossen, lieber im Auto zu
warten und sich aufzuwärmen. Durch den feuchten Nebel war die
Luft noch kälter geworden. Dóra zitterte und verfluchte
ihre eigenen Packkünste, während sie mit geliehenen
Handschuhen und Mütze auf dem Rücksitz des Pick-ups
saß. Matthias und Finnbogi standen immer noch auf dem
Treppenabsatz und versuchten erneut, jemanden an die Tür zu
locken. Sie klopften jetzt so laut, dass Dóra es bis zum
Auto hören konnte. Nachdem sie einen Moment gewartet hatten,
gingen sie zum nächsten Haus. Die Autoscheiben beschlugen
langsam, und Dóra beugte sich über die Sitze, um sie
abzuwischen. Als sie sich wieder auf ihren Platz fallen ließ,
presste sie die Hand aufs Herz und stieß einen spitzen Schrei
aus. Direkt neben dem Auto stand jemand und starrte sie
an.
Es schien eine junge Frau zu
sein. Sie fixierte Dóra mit völlig ausdruckslosem
Gesicht, während die versuchte, ihre Fassung wiederzugewinnen.
Die Frau stand ein paar Sekunden lang reglos da, bis Dóra
sich so weit wieder im Griff hatte, dass sie die Fensterscheibe
runterkurbeln konnte. Am liebsten hätte Dóra sie
weggescheucht, aber dann wären Matthias und Finnbogi, die das
ganze Dorf nach menschlichen Regungen absuchten, stinksauer
geworden.
»Guten Tag. Kann ich Ihnen
irgendwie helfen?« Dóras Stimme war schrill, und sie
sprach unnötig laut.
Die Frau starrte nur
zurück, so dass Dóra glaubte, sie verstehe kein
Dänisch. Doch bevor sie es mit Englisch versuchen konnte,
öffnete die Frau den Mund. Ihr Gesicht sah jung aus; sie
musste zwischen zwanzig und dreißig sein. Sie hatte scharfe
Gesichtszüge und hohe Wangenknochen, die noch mehr
hervorstachen, weil sie leicht gerötet waren. Ihre Augen waren
dunkel und klar, doch ihr ansonsten gesundes Aussehen wurde durch
einen gelblichen Schimmer um die Pupillen getrübt. »Sie
haben hier nichts zu suchen«, sagte sie. Mit ihrem Atem, der
in der Luft dünne, weiße Wölkchen bildete, drang
schaler Alkoholgeruch in den Wagen.
»Meinen Sie, hier im
Dorf?«, fragte Dóra. »Wir haben nur ein paar
Fragen. Zwei Männer sind verschollen.«
»Fahren Sie nach
Hause.« Die Frau starrte Dóra mit unverändert
ausdruckslosem Gesicht an. »Wo auch immer das
ist.«
»Wir fahren bald.«
Dóra wünschte, sie würde verstehen, was hier los
war. Jetzt kam es wirklich auf ihr Dänisch an. Sie redete
einfach drauflos und hoffte, dass sie sich trotz ihres kindlichen
Wortschatzes verständlich machen könnte. »Sind Sie
gegen das Projekt? Haben die Arbeiter der isländischen Firma
Ihnen was getan?«
Die Frau schaute Dóra
fragend an. »Das Camp ist ein schlechter Ort. Da soll niemand
sein. Fahren Sie nach Hause.«
»Schlecht? Warum?«
Dóra drückte ohne nachzudenken auf den Knopf, so dass
die Scheibe ganz nach unten glitt. Es war, als hindere das
Stück Glas sie daran, die Frau zu verstehen.
»Schlecht.« Die Frau
zeigte zum ersten Mal eine Reaktion: Sie wirkte ungeduldig.
»Das müssen Sie nicht verstehen. Glauben Sie mir. Reisen
Sie ab, und kommen Sie nie mehr wieder.«
»Warum sagen Sie mir
das?« Dóra überlegte, ob dieses merkwürdige
Gespräch besser würde, wenn sie aus dem Auto steigen und
sich neben die Frau stellen würde.
»Wenn Sie etwas wissen
wollen, müssen Sie mich bezahlen.« Das Gesicht der Frau
war wieder wie versteinert.
Dóra wusste nicht, was
sie dazu sagen sollte. Sie hatte nur ein paar hundert
isländische Kronen dabei. »Wenn ich Sie bezahlen soll,
müssen Sie mir schon ein bisschen mehr erzählen.«
Matthias hatte garantiert dänische Kronen mitgenommen, um auf
alles vorbereitet zu sein. In solchen Dingen war er das absolute
Gegenteil von Dóra, die meistens auf den lieben Gott
vertraute.
»Keiner wird mit Ihnen
reden. Die Leute hier wollen nichts mit Ihnen zu tun haben.«
Die Frau kniff die
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