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Die eisblaue Spur

Die eisblaue Spur

Titel: Die eisblaue Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
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draußen war alles dunkel. »Und wie ist es bei
dir gelaufen?«
    Matthias hatte zusammen mit dem
Arzt die Zimmer der Mitarbeiter kontrolliert und war noch einmal
durch alle Wohnungen gelaufen, falls sie bei ihrem ersten Durchgang
mit Taschenlampen etwas übersehen hatten. »Wir haben was
entdeckt, ich zeig’s dir auf dem Weg in den Essraum, falls du
noch ein paar Minuten auf Bellas kulinarische Genüsse warten
kannst.«
    Sie zogen ihre Jacken an und
traten hinaus in die Dunkelheit. Die Kälte war erfrischend,
und es war so windstill, dass ihre Atemwölkchen nicht nach
oben stiegen, sondern eine Weile in Kopfhöhe schwebten und
sich dann auflösten. Der Himmel war sternenklar. Grönland
schien dem Weltall näher zu sein als andere Länder; die
Sterne waren viel zahlreicher und heller als anderswo. Die
Milchstraße zog sich in einem breiten, prallen Streifen quer
über das Himmelsgewölbe. Dóra griff nach
Matthias’ Hand und ließ sich von ihm führen, damit
sie in den Himmel schauen konnte. Sie hoffte, dass das Leben auf
anderen Planeten friedlicher wäre als auf der Erde. Und
weniger kalt.
    »Pass auf, da vorne ist
eine Terrasse.« Matthias verlangsamte seinen Schritt, und
Dóra senkte den Kopf. Sie standen vor einem der grünen
Häuschen mit den Mitarbeiterwohnungen. Die Häuschen
standen in Vierergruppen beieinander, und vor jedem Haus war eine
Terrasse. Sie gingen die Treppe hinauf, Matthias holte den
Schlüssel aus seiner Tasche und steckte ihn ins Schloss. Er
ruckelte leicht an der Tür und öffnete. »Das ist
die Wohnung von Halldór Grétarson, dem einen
Bohrmann. Bitte fass nichts an.« 
    Sie betraten den winzigen Flur,
wo eine gelbe Arbeitsjacke mit großen Reflektoren und ein
Fliespulli an der Garderobe hingen. Kein Anorak. Auf dem Gitter
über der Garderobe lag ein schmutziger, zerkratzter Helm.
Neben dem Flur befand sich ein kleines Bad mit Dusche. Im Regal
über dem Waschbecken lagen ein Rasierapparat, billiges
Rasierwasser, eine Zahnbürste, eine Haarbürste, ein Deo
und ein paar Ohrenstäbchen. Aus einer weißen Plastikbox
hing ein Faden Zahnseide ins Waschbecken. Im Wohnbereich gab es
eine kleine, offene Küche, ein eher ungemütliches
Wohnzimmer mit einem zweisitzigen Sofa, einem dazu passenden
Sessel, einem Couchtisch mit einem halbvollen Aschenbecher und
einem Regal mit Fernseher und DVD-Player. Über dem DVD-Player
standen ein paar Bücher, alles englische Krimis. Über dem
Küchenstuhl hing ein Anorak, und die schwache Hoffnung, dass
der Mann das Gelände verlassen haben könnte, schwand
dahin.
    Hinter dem Wohnraum lag das
Schlafzimmer, das Matthias ihr zeigen wollte. Dort herrschte ein
Riesendurcheinander, Handtücher und dreckige Klamotten auf dem
Fußboden und ein Eimer neben dem Bett. »Hm. Nicht
gerade ein Ordnungsfanatiker.«
    »Guck mal da«,
Matthias zeigte auf das Bett, »ich glaube, das ist
Blut.«
    Dóra trat einen Schritt
näher. Matthias hatte recht – auf dem Kissen waren
Blutflecken, nicht sehr groß, aber eindeutig
größer als ein paar Tropfen von der letzten Rasur. Es
waren vier Stück, und sie bildeten eine Art Gesicht. Zwei
Augen, Nase und ein verzerrter Mund. »Glaubst du, jemand hat
ihn im Schlaf erschlagen?« Dóra beugte sich über
die Flecken. Etwas daran beunruhigte sie. »Habt ihr bei dem
anderen Bohrmann auch so was gefunden?«
    »Nein. Da waren ein paar
kleine Spritzer auf dem Fußboden, aber nichts Vergleichbares.
Vielleicht kommt ja jetzt die Polizei. Gut möglich, dass der
andere Bohrmann diesen Halldór getötet, seine Leiche
weggeschafft hat und dann abgehauen ist. Und nach der Tat hat er in
seiner eigenen Wohnung Blutspuren hinterlassen.«
    »Matthias«,
Dóra richtete sich wieder auf, »ich muss dir was
zeigen, was dem hier verdammt ähnlich sieht.« Sie zeigte
auf das blutige Kissen. »Entweder bin ich jetzt völlig
durchgeknallt, oder diese Flecken sehen genauso aus wie die in den
Betten der ersten Dorfbewohner. Du weißt schon, die ersten
Siedler, die angeblich verhungert sind. Ich hab Fotos davon
gesehen.«

15.
Kapitel
    21. März 2008
    Arnars Hände zitterten. Er
saß auf dem Bett und stierte die leere Wand an. Eigentlich
war er froh, nichts anderes vor Augen zu haben. Lediglich das
unkontrollierte Zucken seiner Hände störte ihn dabei, den
Kopf frei zu bekommen, sich nur auf die weiße Farbe und die
raue Tapete zu konzentrieren. Wenn er das schaffen würde,
würde er sich von einem Mann mit Qualen und Schmerzen in einen
Körper verwandeln, der nur

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