Die eisblaue Spur
sechstes
war. Für seine Verhältnisse war er jedenfalls
äußerst gesprächig.
»Spazieren? Mitten in der
Nacht? Wo kann man denn hier spazieren gehen? Warum ist sie noch
nicht zurück?«
Eyjólfur beugte sich
über die Theke und fixierte Alvar. »Du hast doch mit ihr
gesprochen. Wie spät war’s da?«
Alvar schmollte, weil er etwas
gefragt wurde, als ihm der Barkeeper gerade ein neues Bier brachte.
»Ist noch nicht lange her. Eine halbe Stunde oder Stunde. Sie
wollte nur mal um den Block gehen. Es ist Vollmond. Draußen
ist es so hell, dass sie sich wohl kaum in Gefahr bringt.« Er
sprach schnell und trank anschließend das halbe Glas
leer.
»Du bist doch
Rettungsmann, oder?«, sagte Bella in barschem Ton.
»Dich würde ich nicht zu Hilfe rufen, wenn ich mich
verlaufen würde.«
»Ich würde auch nicht
nach dir suchen.« Alvar knallte das Glas auf die Theke. Er
schien am liebsten davonstürmen zu wollen, aber dann wäre
die Bar in weiter Ferne. Deshalb blieb er sitzen.
Bella ließ sich nicht
davon beeindrucken. »Vielleicht ist sie schon wieder
zurück, ohne dass wir es gemerkt haben.« Sie strich mit
dem Finger an ihrem feuchten Glas entlang, so dass sich ein breiter
Streifen auf der glatten Oberfläche bildete.
»Vielleicht.«
Eyjólfur wirkte skeptisch. »Oh Mann, wie ich mich
darauf freue, ins Internet zu kommen. In den Zimmern hat man keinen
Zugang, aber das Mädchen am Empfang hat mir einen Computer mit
Internetzugang in der Lobby gezeigt. Ich glaube, ich war seit der
Erfindung des Internet noch nie so lange offline.«
»Warst du da
überhaupt schon auf der Welt?« Dóra nippte an
ihrem Wein. »Hast du auch ganz sicher alles aus dem Netzwerk
kopiert?«
»Ja. Wenn du dir das zu
Hause anguckst, ist es fast so, als würdest du im Büro im
Camp sitzen, nur dass du durchs Fenster keinen Schnee siehst. Ich
kann’s echt nicht erwarten, nach Hause zu kommen. Sollen wir
nicht einfach auf dieses Reiseverbot pfeifen und den nächsten
Flieger nehmen? Die Polizei ist noch im Camp, wer sollte uns schon
aufhalten? Wir haben schließlich nichts
verbrochen.«
»Das ist nicht gerade der
betriebsamste Flughafen der Welt. Die Polizei hat ihre Kollegen
garantiert informiert, dass wir das Land nicht verlassen
dürfen.« Dóra grinste ihn an. »Ansonsten
wäre ich sofort dabei.«
Der Barkeeper hörte
plötzlich auf, hinter der Theke Gläser zu spülen,
und schaute zur Lobby. Die vier Gäste verstummten und blickten
in dieselbe Richtung. Eine Tür schlug zu, und kurz darauf
erschien Friðrikka mit vom Wetter gerötetem Gesicht in der
Bar. Sie kam zu ihnen und brachte einen kalten Luftzug mit.
»Ich dachte, ihr wärt schon alle im
Bett.«
»Und wir dachten, du
hättest dich verlaufen.« Eyjólfur prostete der
Geologin zu.
»Wie ich sehe, sind die
Suchtrupps genauso eifrig wie damals bei Oddný
Hildur.« Friðrikka zog ihre Fäustlinge aus und
stopfte sie in die Taschen ihres Anoraks. »Hättet ihr
morgen früh schon angefangen, nach mir zu suchen? Oder
vielleicht erst morgen Abend?«
»Nach einer halben Stunde
oder Stunde gilt man ja wohl noch nicht als vermisst.« Alvar
zog jedes Wort in die Länge. Das Bier zeigte langsamWirkung.
»Wir hätten bestimmt mal nach dir geguckt, bevor wir ins
Bett gegangen wären.«
Dóra sah Friðrikka
an, dass es Ärger geben würde. Sie tippte
Eyjólfur, der sich auf seinem Hocker umgedreht hatte, um
nichts zu verpassen, auf den Rücken. »Wo steht denn
dieser Internetcomputer?«
»Gehst du schon?«,
fragte Eyjólfur enttäuscht. »Die Party fängt
doch gerade erst an!« Er zeigte zur Lobby. »Der steht
da hinten. Bist du Blogger?«
Dóra lachte laut auf.
Wenn sie neben der Arbeit und dem Haushalt noch Zeit übrig
hätte, würde sie sich aufs Ohr legen, aber bestimmt nicht
bloggen. »Nein, ich will meinem Sohn eine Mail schreiben. Es
ist schon zu spät zum Anrufen. Ich hab keinen
Blog.«
»Okay. Ich dachte ja nur.
Es gibt echt coole Seiten. Ein paar Leute von Bergtækni
hatten auch Blogs. Ich hab einigen von ihnen beim Programmieren
geholfen. Bjarki und Halldór hatten eine gemeinsame Seite,
die war ziemlich cool. Mit selbstgedrehten Videos und so, echt
witzig, wenn man die beiden kennt.« Er verstummte, als ihm
einfiel, dass die Männer wahrscheinlich tot waren.
»Wenn Matthias
runterkommt, sagt ihm bitte, wo ich bin.« Dóra nahm
ihr Glas und klopfte dem IT-Mann zum Abschied auf die Schulter.
Friðrikka stand immer noch wie bestellt und nicht abgeholt an
der Bar. Als Dóra
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