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Die eisblaue Spur

Die eisblaue Spur

Titel: Die eisblaue Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
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Höllenkreis, wo er sich in einen Dornenstrauch
verwandeln würde, angenagt von Harpyien, geflügelten
Monstern mit Frauenköpfen.
    Arnar saß allein in seinem
dunklen Zimmer und lachte laut. Was war nur mit ihm los? Glaubte er
wirklich, Frieden zu finden, wenn er über ein altes Gedicht
nachdachte? Er wälzte sich auf die Seite und legte sich das
Kissen zurecht. Wie weit durfte Rache gehen? Gab es ein
ungeschriebenes Gesetz oder moralische Richtlinien, die ihm nicht
bekannt waren? Wohl kaum. Im Zusammenhang mit Rache fielen ihm nur
zwei Dinge ein. Erstens das, was er getan hatte: Auge um Auge, Zahn
um Zahn. Zweitens das Gegenteil: die andere Wange hinhalten.
Ersteres hatte seinen Ursprung in der Gesetzessammlung Codex
Hammurabi, Letzteres stammte aus dem Neuen Testament. Zwischen
diesen beiden Alternativen lagen zweitausend Jahre, und es waren
weitere zweitausend Jahre vergangen, ohne dass eine neue
Alternative hinzugekommen wäre.
    Aber vielleicht war ja auch
alles gutgegangen, und es gab keine Folgen. Es war völlig
unklar, ob die Männer gestorben waren. Schließlich hatte
man immer eine Chance. Es sei denn, Gott hatte eingegriffen. Arnar
wurde etwas leichter ums Herz. Wenn Gott existierte, lag es in
seiner Hand, die Männer zu retten. Genauso wie Arnar sie
hätte verschonen können. Aber wenn der Allmächtige
das nicht tat, wie konnte er dann Arnars Handeln verurteilen?
Vielleicht bekam er ja mildernde Umstände. Er hatte unter den
Bosheiten und Erniedrigungen der Männer gelitten und war nicht
mehr Herr der Lage gewesen. Wurde man nicht manchmal
freigesprochen, wenn man gegen seine Unterdrücker aufbegehrte?
Er musste betonen, dass sein Leben zerstört worden war.
Vielleicht würden die Leute ihm dann Verständnis
entgegenbringen und weniger hart über ihn urteilen oder gar zu
dem Fazit kommen, dass sie an seiner Stelle dasselbe getan
hätten. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. 
    Die Worte aus dem abendlichen
AA-Vortag echoten in seinem Kopf. Wenn ihr eure Sünden nicht
beichtet, habt ihr keine Chance. Sie werden euer Gewissen
quälen, und am Ende werdet ihr der heimtückischen Sucht
nachgeben. Legt Rechenschaft ab, und ihr werdet merken, wie die
Bürden von euch abfallen und das Leben leichter wird. Aber ihr
müsst hundertprozentig offen und ehrlich sein. Neunundneunzig
Prozent reichen nicht. Hundert Prozent!
    Hundert Prozent. Nicht
neunundneunzig Prozent. Für ihn kam jede Rettung zu spät.
Im Grunde ging es ihm genauso wie Bjarki und Halldór. Gott
musste ihm helfen. Falls er existierte.
    Draußen fielen
Schneeflocken träge vom Himmel, so als fehle ihnen jegliche
Energie. Ob es in Grönland auch schneite? Ob Bjarkis und
Halldórs Leichen schon eingeschneit waren? Ewig verborgen
– oder wenigstens bis zum Frühjahr. Und dann? Was, wenn
ein Kind die Überreste der Männer entdeckte? Er musste
etwas unternehmen. Aber das konnte warten. Vielleicht bis zum
Frühjahr. Bis dahin hatte er Zeit, sich eine Geschichte
zurechtzulegen.
    »Das ist ja wohl der
Hammer!« Dóra lehnte sich im Stuhl zurück.
»Die stellen so was einfach ins Internet!«
    Matthias war nicht ganz so
entsetzt wie sie. »Vielleicht war die Aktion ja gar nicht so
schlimm, wie es aussieht. Du weißt ja nicht, ob es eine
Vorgeschichte gab, und was danach passiert ist. Das ist manchmal
aufschlussreicher als die Aktion selbst.«
    Dóra schaute ihn
irritiert an. »Wie soll irgendein Ereignis davor oder danach
die Sache besser machen?« Dóra nahm die Maus und
klickte den Film noch einmal an. Sie sahen den Ausschnitt zum
dritten Mal, und Dóra fühlte sich schon fast
mitschuldig. Die Kamera glitt durch den wohlbekannten Flur im
Bürogebäude der Firma Bergtækni in Grönland.
Der Filmende kicherte und flüsterte der Person, die hinter ihm
herging, etwas zu. Es klang wie: Ob er anfängt zu heulen?
Daraufhin brachen beide in unkontrolliertes Kichern aus, und
stimmten ein Geburtstagslied an, wobei sie absichtlich falsch
sangen. Die Kamera stoppte vor einer geschlossenen Tür, und
während der Gesang lauter wurde, schwenkte sie auf ein Schild
mit der Aufschrift Arnar Jóhannesson – Ingenieur. Man
sah eine Faust gegen die Tür schlagen, die sich fast
zeitgleich öffnete. Drinnen saß ein Mann am
Schreibtisch. Sein Gesicht wirkte zunächst freudig
überrascht, dann misstrauisch.
    Der Gesang hörte auf, und
dem Mann wurde ein weißer Schuhkarton mit einer großen
Schleife überreicht. Das Geschenkband war aus gelbem Plastik
und mit einer Warnung vor

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