Die Eiserne Festung - 7
das größere Schiff entern und das ganze Gefecht mit kaltem Stahl austragen könnte, war nicht gerade das schlimmste Endergebnis, das er sich vorstellen konnte.
Captain Yairley schaute zu, wie die Spitze des Klüverbaums der Destiny der desnairianischen Galeone näher und näher kam. Jetzt konnte er sogar das Namensschild des Schiffes lesen - Erzengel Chihiro. Damit blieb nicht mehr viel Platz für Zweifel, für welchen Zweck sie tatsächlich gebaut worden war. Selbst ohne Fernrohr konnte er schon recht deutlich einzelne Offiziere und Mannschaftsmitglieder ausmachen.
Die Erzengel Chihiro ragte höher aus dem Wasser heraus als die Destiny, obwohl sie kürzer und gedrungener war. Damit war dieses Schiff zweifellos deutlich launischer und sehr viel leegieriger. Zugleich waren ihre Deckaufbauten ungleich breiter (zweifellos noch eine Hinterlassenschaft ihrer Herkunft als Handelsschiff) - ihr Vorschiff und Achterkastell hatte man während der Umbauten zumindest etwas niedriger gesetzt. Allerdings war die Heckhöhe immer noch geeignet, um einem vollständigen, erhöhten Achterdeck Platz zu bieten, einer echten Poop. In mancherlei Hinsicht wünschte Yairley, das sei auch bei der Destiny der Fall. Dass der Rudergänger bei ihr auf dem niedrigeren Achterdeck stand, entblößte ihn zur Gänze - für Musketenfeuer ebenso wie für Kanonenkugeln -, während sich das Steuer der Erzengel Chihiro unterhalb der Poop befand, sodass es sowohl verdeckt als auch geschützt war.
Wie zur Antwort auf Yairleys Überlegungen wurden jetzt auf dem anderen Schiff die ersten Musketen abgefeuert. Es waren Luntenschlösser, keine Steinschlosswaffen, sodass sie eine geradezu entsetzlich niedrige Feuerrate hatten. Außerdem hatten diese Waffen eindeutig glatte Läufe, was der Treffsicherheit nicht gerade zuträglich war. Ohnehin war haargenaues Schießen vom Deck eines stampfenden Schiffes auf Personen nicht möglich, die sich auf Deck eines ebenfalls stampfenden Schiffes bewegten. Ob unter derartigen Bedingungen ein Ziel überhaupt getroffen wurde, war weitestgehend Glückssache - auch wenn es natürlich schwerfiel, das auch dann noch so zu sehen, wenn einem gerade eine Musketenkugel am Ohr vorbeisauste.
So wie jetzt gerade, merkte eine leise Stimme in seinem Hinterkopf an.
Scharfschützen der Marines auf der Fockmars und der Großmars erwiderten das Feuer. Zwar trafen deren Gewehre mit gezogenen Läufen unter den gegebenen Umständen auch nicht viel präziser. Aber sie hatten doch, weil sie mit Steinschlössern ausgestattet waren, eine ungleich höhere Feuerrate. Nahe einer der Steuerbordkarronaden mittschiffs schrie jemand auf, als eines der gegnerischen Luntenschlösser ein Ziel fand. Yairley sah, dass als Erwiderung der Marines auf die freundliche Begrüßung der Desnairianer an Bord der Erzengel Chihiro jemand vom Stengestag herabstürzte und mit knochenzermalmender Gewalt auf dem Achterdeck aufschlug.
Ich glaube, wir sind jetzt nahe genug, sinnierte er und blickte kurz zu Lathyk hinüber.
»Jetzt, Master Lathyk!«, sagte er klar und deutlich, und der First Lieutenant blies in seine Pfeife.
Sir Hairahm Wailahr wandte sich nicht einmal um, als der Matrose hinter ihm aufs Achterdeck krachte. Wahrscheinlich war der Mann schon tot gewesen, bevor er in die Tiefe gestürzt war. Jetzt war er auf jeden Fall tot - und nicht die erste Leiche in Wailahrs Leben. Also schenkte der Commodore der Sache nicht mehr Beachtung als den Splittern, die auf einmal rings um seine Stiefel von Deck aufstoben: Drei oder vier charisianische Musketenkugeln hatten sich in die Planken gebohrt. Die gegnerischen Scharfschützen hatten ihn offensichtlich als Offizier erkannt, auch wenn ihnen nicht bewusst war, welch fette Beute er tatsächlich wäre. Doch auch diese Erkenntnis blieb im Hinterkopf, der Commodore gestattete nicht, sich davon ablenken zu lassen. Er war sich seiner eigenen Sterblichkeit durchaus bewusst. Im Augenblick allerdings hatte er ganz andere Sorgen: Die Spitze des langen, lanzenartigen Klüverbaums des charisianischen Schiffes kam der Heckreling der Erzengel Chihiro langsam näher und näher.
Langhorne, das wird unschön!, sagte er sich selbst. Der Charisianer kam sogar noch näher, als der Commodore erwartet hatte. Es sah so aus, als hätte der Captain der anderen Galeone die Absicht, sie aus einer Entfernung von weniger als dreißig Schritt anzugreifen. Über eine solche Entfernung hinweg würden nicht einmal Wailahrs recht unerfahrene Kanoniere
Weitere Kostenlose Bücher