Die Eiserne Festung - 7
Republik nicht gerade zuträglich gewesen. Zum offen Bruch war es allerdings nie gekommen, wie auch immer der eine oder andere Vikar das einschätzen mochte. Schließlich war die Vormachtstellung der Kirche unangreifbar.
Doch jetzt ... jetzt, da die Vormachtstellung der Kirche eben doch angreifbar geworden war, stiegen die von Kanzlern seit Jahrzehnten gehegten Befürchtungen ins Unermessliche. Es gab noch keine deutlichen Hinweise darauf, die Siddarmarkianer könnten sich der Kirche von Charis zuwenden. Doch das hielt die ›Vierer-Gruppe‹ - die Gruppe einflussreicher Vikare, die letztendlich die Geschicke der gesamten Kirche lenkten - mitnichten davon ab, sich darum zu sorgen, genau das könne beizeiten geschehen.
Ich wünschte wirklich, das würde geschehen, dachte Merlin mehr als nur ein wenig wehmütig. Aber so sehr sich Stohnar auch zumindest über die ›Vierer-Gruppe‹ ärgert - er wird sich nicht offen auf die Seite von Chans stellen. Die Vorwürfe, die Charis hinsichtlich der Korruption in der Kirche erhebt, dürfte er sogar für berechtigt halten. Er gibt sich sicherlich auch nicht irgendwelchen Illusionen hinsichtlich der ›Heiligkeit‹ der ›Vierer-Gruppe‹ und ihrer Beweggründe hin. Aber er ist ein Pragmatiker. Daher ist er sich des herrschenden Gleichgewichts der Kräfte voll und ganz bewusst. Tatsächlich kennt er sich damit vermutlich sogar besser aus als jeder andere auf ganz Safehold. Abgesehen davon scheint er mir nicht der Ansicht, ein offener Bruch mit der Kirche würde in Siddarmark auf allgemeine Zustimmung stoßen. Und zumindest im Augenblick hat er mit dieser Einschätzung gewiss Recht.
»Aber was mich am meisten beeindruckt an den Chisholmianern«, wandte sich der Seijin wieder an seinen Gesprächspartner, »ist ihre Bereitwilligkeit, sich auf neue Taktiken einzustellen. Sie machen rasch Fortschritte.«
Er hob eine Augenbraue und blickte Green Valley an, um ihm eine Bemerkung zu entlocken, und der Baron nickte.
»Damit habt Ihr Recht«, bemerkte dieser. »Mir scheint, als würde das Offizierskorps die Gründe für diese neuen Taktiken sogar noch rascher begreifen als unsere eigenen Leute damals. Die Chisholmianer machen das auch nicht bloß, um Ihre Majestäten zufriedenzustellen. Sie lernen nicht einfach nur, was wir sie lehren. Sie machen sich selbst ernstlich Gedanken und bringen Verbesserungsvorschläge ein.«
»Das ist auch mein Eindruck«, bestätigte Merlin.
»Ich habe auch noch kein einziges Anzeichen für das gesehen, was mir im Vorfeld am meisten Sorgen bereitet hat«, fuhr Green Valley fort. Wieder wölbte Merlin eine Augenbraue, und der Baron zuckte mit den Schultern. »Charis hat nie über eine Armee verfügt, die diesen Namen verdient hätte, Merlin. Wir hatten eine wahrhaft unübertreffliche Navy, und niemand möchte es auf See mit unseren Marines aufnehmen müssen. Aber was Landstreitkräfte betrifft ...
Hier in Chisholm hingegen ...«, Green Valley lehnte sich in seinem Klappstuhl zurück, und seine Miene verriet immense Konzentration, »... ist die Army das, was zählt. Es war seinerzeit die Army, der es gelungen ist, die Macht der einflussreichsten Adeligen einzudämmen, und es war auch die Army, die in der Heimat für hinreichende Stabilität gesorgt hat. Mit Hilfe der Army haben der Vater Ihrer Kaiserlichen Majestät und später natürlich auch sie selbst den Wohlstand des Königreiches mehren können. König Sailys' Navy ... na ja, er musste halt Chisholms Handelsschiffe gegen corisandianische Freibeuter verteidigen. Diese Navy aber aufzubauen war ihm erst möglich, nachdem die Army dafür gesorgt hatte, dass das Reich überhaupt hinreichend wohlhabend geworden war. Während für uns Charisianer also die Navy unser ganzer Stolz ist - ganz zu schweigen davon, dass wir ihr auch den Drachenanteil unseres Reichtums verdanken -, ist es für Chisholm die Army.«
Wieder zuckte er die Achseln, ließ seine Worte sacken.
»Unter diesen Umständen«, fuhr er dann fort, »hatte ich ernstlich befürchtet, die Chisholmianer würden Ratschläge hinsichtlich neuer Armee-Taktiken unweigerlich ablehnen. Ich meine, was soll ein Haufen Marines denn schon über die richtigen Bedingungen und Erfordernisse wissen, die es bei Kämpfen auf dem Land zu beachten gilt? Und in vielerlei Hinsicht ist dieser Einwand auch mehr als berechtigt. Es ist sicherlich unter den charisianischen Navy-Offizieren weit verbreitet, von der Chisholmian Navy so wenig zu halten wie die Chisholmianer
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