Die Eiserne Festung - 7
schlicht, sein Zelt aufzugeben, solange nicht auch der letzte Mann unter seinem Befehl ein trockenes, warmes Plätzchen in einer der Kasernen gefunden hatte, die derzeit hastig errichtet wurden.
»›Wovon‹, ja?«, wiederholte der General nun Merlins Frage und lehnte sich in seinem Klappstuhl zurück. Neben ihm bemühte sich ein gusseiserner Ofen - derzeit noch erfolgreich -, im Zelt für mehr oder minder annehmbare Temperaturen zu sorgen. »Also, lasst mich mal nachdenken ... was könnte ich denn wohl gemeint haben? Hmmm ...«
In ostentativer Nachdenklichkeit rieb er sich das Kinn, die Augen halb geschlossen. Stillvergnügt lachte Merlin in sich hinein. Es gab nicht allzu viele Menschen auf dem Planeten Safehold, die sich in der Gegenwart des gefürchteten Seijin Merlin hinreichend wohlfühlten, ihn tatsächlich zu veralbern. Die wenigen, auf die das zutraf, wusste Merlin Athrawes nur um so mehr zu schätzen.
»Schon gut, schon gut, Mein Lord!« Mit einem Grinsen gestand er seine Niederlage ein. Dann allerdings verschwand das Grinsen wieder. »Um ehrlich zu sein«, fuhr er ernst fort, »bin ich wirklich beeindruckt. Herzog Eastshare und Sie scheinen den Integrationsprozess sogar noch rascher und reibungsloser in Gang gesetzt zu haben und auch am Laufen zu halten, als Ihre Majestäten das erwartet hatten. Und ich habe den Eindruck, als seien Sie an sich zufrieden mit den sich daraus ergebenden Kommandostrukturen.«
Sein Tonfall verwandelte diesen letzten Satz in eine Frage, und Green Valley stieß ein Schnauben aus.
»Von Euch hatte ich einen etwas ... visionäreren Kommentar erwartet, Merlin«, sagte er. »Tatsächlich bin ich sogar überrascht, dass Seine Majestät es für notwendig erachtet hat, Euch zur Begutachtung unserer Fortschritte bis nach hier oben zu schicken.«
Es gelang Merlin, nicht gequält das Gesicht zu verziehen. Sein Gegenüber war mit erbarmungsloser Schonungslosigkeit auf den Punkt gekommen. Andererseits war die Bemerkung durchaus vernünftig. Schließlich gehörte Green Valley zu den wenigen Menschen, die genau wussten, dass Seijin Merlin deutlich mehr war als nur Kaiser Caylebs persönlicher Waffenträger und Leibwächter.
Die Ereignisse der letzten Jahre hatten praktisch jeden in dem Teil Safeholds, der mittlerweile zum Kaiserreich Charis gehörte, eines gelehrt: Sämtliche der alten Legenden, in denen es um die sagenhaften Kriegermönche ging, die Seijin genannt wurden, beruhten auf Tatsachen. Nur hatten die Legenden die Tatsachen heruntergespielt. In Wahrheit waren die Kriegermönche noch todbringender als in diesen Erzählungen. Niemand bezweifelte, dass Seijin Merlin der tödlichste Leibwächter war, der jemals in den Diensten eines charisianischen Monarchen gestanden hatte. Seijin Merlin hatte bereits eine Vielzahl von Attentaten vereitelt (und beileibe nicht nur solche auf seinen Kaiser). Angesichts dessen war es nicht verwunderlich, dass er stets in Caylebs Nähe blieb. Er behielt seinen Herrn ständig im Auge, im Ratszimmer ebenso wie auf dem Schlachtfeld.
Green Valley allerdings wusste etwas, was wenige seiner charisianischen Mitbürger auch nur erahnten: Cayleb und Sharleyan hatten noch einen anderen Grund dafür, Merlin stets in ihrer Nähe zu behalten - einen ganz besonderen Grund.
Den Seijin ereilten Visionen. Er konnte Ereignisse sehen und hören, die sich in weiter Ferne zutrugen. Merlin Athrawes wusste, was in Tausenden von Meilen Entfernung geschah, und das zu genau dem Zeitpunkt, da es geschah. Er war in der Lage, den Kriegsratssitzungen und den politischen Debatten von Charis' Gegnern praktisch persönlich beizuwohnen. Das bot dem von allen Seiten belauerten Kaiserreich einen unschätzbaren Vorteil. Der Seijin war der effiziente, todbringende Leibwächter, für den ihn alle hielten, und das war die perfekte Tarnung für seine andere Rolle: die als Ratgeber. Seiner Effizienz als Leibwächter wegen verstand jede noch so misstrauische Seele, warum Captain Athrawes mit den unmenschlich blauen Seijin -Augen stets in unmittelbarer Nähe zum Kaiser blieb - jeder Dorftrottel verstand das! Daher kam niemand auf die Idee, er könne mehr sein als ein bloßer Leibwächter.
Green Valley wusste es besser. Tatsächlich vermutete er allmählich, dass Merlin ebenso sehr ein Mentor war wie ein Ratgeber. Charis' Überleben trotz der überwältigenden Übermacht, der sich das Reich gegenübersah, war - zumindest bisher - radikalen Neuerungen geschuldet. Green Valley glaubte, dass
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