Die Eiserne Festung - 7
heftig geworden, hätten sie sich einfach zu einem Fellknäuel zusammengerollt - einem sehr, sehr großen Fellknäuel. Wenn möglich, taten sich dazu immer zwei oder drei zusammen. Hernach ließen sie den heulenden Wind eine schützende, bequeme Schneedecke über sich legen. Menschen hingegen waren deutlich weniger gut isoliert. Daher hatte es trotz der unschätzbaren Hilfe durch die Eisechsen drei Situationen gegeben, in denen Coris und Tannyr wegen des Wetters einfach nicht weiterkonnten. Einmal hatten sie fast drei Tage festgesessen. Meistens nächtigten sie in Poststationen der Kirche, denn die meisten Herbergen (die sich als deutlich größer erwiesen, als Coris es gewohnt war) schienen über den Winter geschlossen zu sein. Das war wohl auch kaum verwunderlich. Schließlich würden bei diesem Wetter nur die Hartgesottensten - oder die Verrücktesten - nicht zu Hause bleiben und auf den Frühling warten. Selbst die Poststationen waren sowohl größer als auch deutlich luxuriöser ausgestattet, als der Graf erwartet hatte. Eigentlich hätte er es besser wissen können: Schließlich reiste eine beträchtliche Anzahl hochrangiger Kirchenmänner häufiger auf dieser Route.
Trotz der Annehmlichkeiten der Poststationen waren die wetterbedingten Verzögerungen ärgerlich. Die Kürze eines Wintertages vergrößerte das Problem einer Reise zu dieser Jahreszeit noch, obwohl den Eisechsen ein fast nachtschwarzer Abend nichts ausmachte. Täglich reiste der Tross deswegen so weit, wie es den Menschen geraten schien. Es hatte immer wieder Streckenabschnitte gegeben - selbst im relativ geschützten Tal -, in denen die Straßenverhältnisse, durchweicht und vereist, ein Fortkommen in Dunkelheit unmöglich machten. Nur ein ausgemachter Idiot hätte es weiter versucht. Tannyrs ursprüngliche Schätzung, wie lange die Reise dauern würde, hatte sich, wenig überraschend, daher als etwas arg optimistisch erwiesen.
Trotzdem hatten sie letztendlich Seeblick erreicht - wieder einmal mitten in dichtem Schneegestöber. Als sie eintrafen, war die Nacht bereits hereingebrochen. Die Gebäude der alten Stadt schienen sich enger aneinander zu schmiegen, die Schultern einzuziehen, um die Dächer vor den Unbilden des Wetters zu schützen. Bei vielen Fenstern waren zum Schutze vor der Kälte die Läden geschlossen. Doch der Schein der Lampen aus denen, die nicht verrammelt waren, hatte die fallenden Schneeflocken in einen tanzenden, wirbelnden Teppich verwandelt, gewebt von unsichtbaren Kobolden. Nachdem sie die Straßen von Seeblick erst einmal erreicht hatten, waren die Reiseschlitten deutlich langsamer geworden. Die Dunkelheit und das Wetter hatte die weitaus meisten Stadtbewohner aber ohnehin in ihre Häuser getrieben, und so hatten die Reisenden rasch die Herberge am Hafen erreicht, in der bereits Zimmer für sie reserviert waren.
Die Herberge Der Erzengel Nachtruhe war gewaltig, ganze sechs Stockwerke hoch, mit geradezu palastartigen Gemächern und einem ausgewachsenen Restaurant im Erdgeschoss. Tatsächlich deklassierte das Nachtruhe jedwedes Gasthaus in ganz Corisande und selbst noch die größten Herbergen auf dem Weg von Fairstock hierher. Coris hätte gewettet, noch nie irgendwo ein größeres Gebäude gesehen zu haben, außer vielleicht den Kathedralen der Hauptstädte. Es erschien dem Grafen fast schon unpassend, von ›Herberge‹ zu sprechen. Er verstand sogleich, warum jemand, um dieses Haus zu beschreiben, eigens das Wort ›Hotel‹ geprägt hatte.
Im Winter wurde das Etablissement ganz offensichtlich mit einem deutlich reduzierten Mitarbeiterstab betrieben. Dahin ging auch die Bemerkung, die Coris Tannyr gegenüber machte. Der Unterpriester lachte leise in sich hinein.
»Im Sommer ist das Haus normalerweise bis auf den letzten Platz und das letzte Zimmer belegt«, erklärte er. »Tatsächlich wünscht man sich dann, sie hätten noch mehr Zimmer im Angebot. Ist Ihnen nicht aufgefallen, wie viel größer die Herbergen entlang der Hauptstraße sind?« Coris nickte, und Tannyr zuckte mit den Schultern. »Das hat seinen Grund: Außer im Winter nutzen normalerweise Tausende von Pilgerreisenden diese Straße - entweder auf dem Weg zum Tempel oder auf der Rückreise. Sie alle müssen ja schließlich irgendwo die Nacht verbringen, und sämtliche Straßen aus dem Süden, die zum Pei-See führen, laufen hier zusammen. Seeblick ist für jeden, der nach Zion reisen möchte, auf dieser Seite des Sees eine unvermeidbare Zwischenstation.
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