Die Eiserne Festung - 7
Amtszeit in der Geschichte Safeholds gewesen. Wie auch immer die offizielle Geschichtsschreibung lauten mochte, niemand hatte jemals daran gezweifelt, dass sein ›unglücklicher Sturz‹ die unmittelbare Folge seiner Bemühungen gewesen war, das Vikariat zu reformieren. Das Großvikariat von Großvikar Tairhel, Samyls und Hauwerds Großonkel, war beinahe ebenso kurz gewesen. Es gab keine Gerüchte, denen zufolge Tairhels Tod arrangiert gewesen wäre. Er war schon alt und alles andere als gesund gewesen, als er Langhornes Thron bestiegen hatte, ohne die Tatkraft und Energie, die Evyrahard so ausgezeichnet hatte. Seine Kollegen aus dem Vikariat mochten durchaus der Ansicht gewesen sein, sie könnten einfach abwarten, dass die Natur seinen Reformbestrebungen ein Ende machte. Natürlich war es immer noch möglich, dass der ›natürliche‹ Tod, dem er schon bald erlag, doch ein wenig ... beschleunigt worden war, ganz egal, wie andere darüber denken mochten.
Na ja, Mutter, dachte Hauwerd jetzt, du hattest schon ganz Recht, dir Sorgen zu machen! Ich bin wirklich froh, dass Vater und du nicht mehr miterleben werden, was geschieht. Ich bin mir zwar sicher, dass du es trotzdem weißt, aber die Heilige Schrift lehrt, dass, wenn man zu Seiten Gottes sitzt, alles Sinn ergibt. Ich hoffe, dass das wirklich stimmt. Denn von hier unten aus betrachtet, vermag ich in allem, was sich noch ereignen wird, keinerlei Sinn und Verstand zu erkennen. Und es liegt Shan-wei noch einmal keine Spur Gerechtigkeit darin!
»Wie fandest du den Wein?«, fragte Samyl leise, und Hauwerd stieß ein Schnauben aus.
»Ich fand ihn ganz ausgezeichnet. Ein Sankt Hyndryk, nicht wahr? Der 64er?« Gemächlich nickte Samyl, und wieder schnaubte Hauwerd, dieses Mal noch lauter. »Wenigstens etwas, das Clyntahn nicht in die Fettfinger bekommen hat!«
»Das war zwar nicht ganz mein Grund, ihn heute Abend auftragen zu lassen, aber wohl trotzdem ein bemerkenswerter Gedanke.« Samyl stimmte ihm so gelassen zu, dass Hauwerd am liebsten vor Frustration laut aufgeschrien hätte. Diese Gelassenheit, dieser tiefe, alles umfassende Glauben, gehörte zu den Dingen, die Hauwerd am meisten an seinem Bruder bewundert hatte. Doch im Augenblick zerrte genau diese Gelassenheit im gleichen Maße an seinen Nerven, wie er sie als tröstlich empfand. Dass diese Gelassenheit so an Hauwerds Nerven zerrte, lag einzig und alleine daran - so ungern er sich das eingestehen wollte -, dass Samyls Bereitschaft, stets Gottes Willen hinzunehmen, Hauwerd dazu gebracht hatte, seinen eigenen Glauben in Frage zu stellen.
Mit aller Kraft kämpfte er gegen seine Zweifel an. Doch es war ihm nie gelungen, sie gänzlich zu besiegen. Gewiss hätte ein wahrhaftig gerechter Gott, gewiss hätten Erzengel, die wirklich dem Licht dienten, niemals einen so guten Menschen wie seinen Bruder im Stich gelassen - einen Mann, der nur danach strebte, Gott zu dienen und seinen Nächsten zu lieben. Man hatte ihn nicht nur im Stich gelassen, sondern ihn einem abstoßenden, verderbten, bösartigen Menschen wie Zhaspahr Clyntahn ausgeliefert. Einem Mann, der bereit war, ein ganzes Königreich abzuschlachten. Einem Mann, in dessen Macht es stand, jede einzelne entsetzliche Strafe zu verhängen und vollziehen zu lassen, die das Buch Schueler vorsah ... und er war nicht nur bereit, sondern sogar begierig, jede einzelne an gänzlich schuldlosen Kindern Gottes vollziehen zu lassen, deren einzige Untat darin bestanden hatte, sich der Korruption und Verderbtheit dieses Mannes entgegenzustellen!
Hauwerd Wylsynn kannte seine eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten. Er hätte nicht aufrichtig behaupten können, auch nur eine einzelne davon wäre so schwerwiegend, dass er das Schicksal verdiente, das Clyntahn für ihn im Sinn hatte. Doch zugleich war er bereit zuzugestehen, dass auch er der Sünde des Ehrgeizes anheimgefallen war. Dass er sich hin und wieder dazu hatte verführen lassen, die Macht, die ihm dank seiner Herkunft zufiel, und die Macht, die sein Amt mit sich brachte, dazu ausgenutzt zu haben, den einfacheren Weg zu gehen. Er hatte sich selbst zugestanden, die Abkürzung zu nehmen und Gott zu benutzen, statt sich selbst ganz in den Dienst Gottes zu stellen. Doch er wusste ebenso, dass Samyl das nicht getan hatte. Dass Samyl wahrhaftig der spirituelle Erbe von Sankt Evyrahard war, und nicht lediglich sein Nachfahre. Was konnte sich Gott nur dabei denken, jenen Mann, der eigentlich Sein wahrer Krieger hätte sein
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