Die Eiserne Festung - 7
gebrauchen können, die sich finden lässt, wenn sie das alles überleben wollen.«
Dieses Mal nickte Samyl nur. In seinen Augen schimmerte es verdächtig, so deutlich wurde ihm wieder einmal bewusst, wie sehr er seinen Bruder liebte. Es ist so typisch für ihn, dachte er, sich Sorgen um einen kleinen Jungen und ein junges Mädchen zu machen, denen er nie zuvor begegnet ist. Das war immer noch der frühere Tempelgardist in ihm, mit diesem geradezu streitsüchtigen Bedürfnis, andere zu beschützen. Beschützerinstinkte hatten Hauwerd auch seinerzeit dazu bewogen, Gott zu dienen, zunächst mit dem Schwert, später mit Herz und Verstand. Samyl war froh, dass Hauwerd längst wusste, wie sehr sein großer Bruder ihn liebte. Denn so brauchte er es nicht noch einmal zu sagen. Nicht hier, nicht jetzt.
»Und damit ...«, sagte Hauwerd, warf einen Blick auf die Wanduhr - die, wie jede andere Uhr im Tempel auch, darauf eingestellt war, stets die genaue Zeit zu zeigen - und erhob sich aus seinem Sessel, »muss ich auch leider gehen. Ich muss heute Abend noch ein paar Kleinigkeiten erledigen.«
»Kann ich dir irgendwie helfen?«, fragte Samyl nach. Wieder stieß Hauwerd ein Schnauben aus, doch dieses Mal klang es deutlich sanfter.
»Du magst dir das vielleicht gar nicht vorstellen können, Samyl, aber ich kann mir schon alleine das Hemd anziehen und sogar die Schuhe zubinden, und das schon seit ... ach, seit Jahren!«
»Du hast Recht.« Samyl lachte leise in sich hinein. »Eigentlich weiß ich das auch. Also, kümmere dich um deine Kleinigkeiten. Abendessen morgen bei dir?«
»Abgemacht«, erwiderte Hauwerd, nickte dann seinem Bruder zum Abschied noch einmal zu und verließ dessen Gemächer.
»Haaaaahhhhh-tschiiiiieeeee!«
Der Nieser war so heftig gewesen, dass Vikar Rhobair Duchairn schon glaubte, es habe ihm die Priesterhaube vom Kopf gesprengt. Nicht einmal das heilige Territorium des Tempels, das doch stets angenehm temperiert und in jeder Hinsicht komfortabel war, vermochte eine einfache Erkältung abzuhalten. Das war jetzt schon die dritte Erkältung, die sich Duchairn in diesem Winter eingefangen hatte: jede schlimmer als ihre Vorgängerin.
Duchairn blieb lange genug stehen, um sein Taschentuch hervorzuziehen und sich kräftig zu schnäuzen. Gleichzeitig nutzte er die kurze Pause, sich von diesem letzten Niesen zu erholen. Erst danach ging er weiter den Korridor hinunter. Er kam schon jetzt zu spät zu dem vereinbarten Treffen, auch wenn es dieses Mal nicht so sehr auf die Zeit ankam. Er war schließlich der Schatzmeister der Kirche des Verheißenen.
Die Leute, die auf ihn warteten, waren ihm samt und sonders unterstellt. Und ohne ihn konnten sie auch nicht anfangen. Wenn er ehrlich war, ließ er sie gern warten: Auf diese Besprechung freute er sich nun wahrlich nicht! Das Schatzamt verlor Geld in unfassbarer Menge, seit das Königreich Charis diesen ersten Angriff abgewehrt hatte, und Duchairn sah nicht, wie sich die Lage in absehbarer Zeit ändern sollte. Vor allem nicht nach diesem neuerlichen Schlag gegen den Kapitalfluss der Kirche. Nicht nur, dass die Königreiche Charis und Chisholm sowie die Fürstentümer Emerald und Corisande - ganz zu schweigen vom Großherzogtum Zebediah - schlagartig aufgehört hatten, ihre Zehnten abzuführen (wobei gerade der von Charis wirklich beträchtlich gewesen war). Nein, dass Charis unablässig den Handel all seiner Feinde störte, hatte der Wirtschaft eben dieser Feinde ernstlich Schaden zugefügt. Da nun also die Wirtschaft immer weiter erlahmte, hatte die Kirche zunehmend Schwierigkeiten, den Zehnten einzutreiben. Laut Duchairns jüngster Schätzung war der Kapitalfluss, der sich durch den jährlichen Zehnten der Reiche auf dem Festland ergab, um etwa zehn Prozent gesunken. Der Gesamt-Zehnte, einschließlich dessen, was von den Ländereien hätte eintreffen sollen, die sich jetzt in offener Rebellion gegen Mutter Kirche befanden, war sogar um mehr als ein Drittel eingebrochen. Man konnte von Glück reden, dass die Kirche so viele andere lukrative Einnahmequellen hatte. Leider hatte alles nun einmal seine Grenzen - einschließlich der Möglichkeit, aus diesen anderen Quellen Geld einzutreiben. Zum ersten Mal seit Menschengedenken gab die Kirche des Verheißenen schneller Geld aus, als es wieder hereinkam. Dergleichen konnte unmöglich ewig so weitergehen.
Bedauerlicherweise war es genau das, was einige seiner Kollegen nicht zu begreifen schienen.
Seine Miene
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