Die Eiserne Festung - 7
über den kleinen, aber recht dicken Briefumschlag, den es irgendwie unter das gesuchte Taschentuch verschlagen hatte. Als der Erzbischof an diesem Morgen seine Gemächer verlassen hatte, war der Umschlag ganz eindeutig noch nicht in seiner Tasche gewesen. Er wusste auch ganz genau, dass er diesen Umschlag seitdem nicht entgegengenommen hatte. Damit fiel ihm nur eine einzige Person ein, die ihm nahe genug gekommen war, um ihm unbemerkt etwas in die Tasche zu stecken.
In diesem Augenblick erkannte Duchairn, dass man ihm kein gefährlicheres Geschenk hätte machen können: Dieser Umschlag war möglicherweise ebenso tödlich wie sein Gewicht in Zyankali.
Sonderbar, meldete sich eine leise Stimme in seinem Hinterkopf. Dafür, dass ich gerade eben noch so einen Hunger hatte, hat sich mein Appetit doch bemerkenswert rasch gelegt!
.IV.
Königliche Hochschule, im Palast von Tellesberg, Stadt Tellesberg, Altes Königreich Charis
»Baron Seamount ist hier, Herr Doktor.«
Rahzhyr Mahklyn blickte von den vor ihm liegenden Unterlagen auf, als Dairak Bowave den Kopf durch die Tür seines Arbeitszimmers steckte. Bowave war ein fröhlicher junger Mann, kaum älter als Kaiser Cayleb. Ehe Bowave für Mahklyn arbeitete, hatte er gemeinsam mit Mahklyns Schwiegersohn Aizak Kahnklyn viel Zeit in der Bibliothek der Königlichen Hochschule verbracht. Gibt ja auch genug zu tun da, sinnierte Mahklyn grimmig. Bowave und er hatten schon viel erreicht, seit das ursprüngliche Gebäude der Hochschule vor elf Monaten niedergebrannt war. Ihre jetzige Sammlung an Schriftstücken jedweder Art aber war kaum mehr als ein schwacher Abglanz dessen, was die Bibliothek früher einmal enthalten hatte. Das neu eintreffende Material zu sichten und zu ordnen war wirklich eine Aufgabe gewaltigen Ausmaßes.
Natürlich konnte Mahklyn mittlerweile auf etwas zurückgreifen, das alles, was sie seinerzeit verloren hatten, unbedeutend, ja fast lächerlich erscheinen ließ. Aber das wussten Aizak und Bowave nicht.
Mahklyn aber durfte keinem der beiden davon erzählen.
»Dann bitten Sie den Baron doch freundlicherweise herein, Dairak!«, erwiderte er.
»Sehr wohl.« Bowave lächelte, nickte und verschwand. Mahklyn machte sich daran, die handgeschriebenen Blätter zu einem säuberlichen Stapel zusammenzustoßen.
Besagte Aufzeichnungen stammten von Sahndrah Lywys. Mahklyn hatte sie kurz überflogen, um sich auf genau diese Besprechung mit Seamount vorzubereiten. Es amüsierte ihn, mit welcher Leichtigkeit er in der Lage gewesen war, dem Inhalt zu folgen ... mittlerweile. Dr. Lywys' Schreibstil war schon immer klar, deutlich und präzise gewesen. Ihre Handschrift indes hätte man mit viel Wohlwollen als ›krakelig‹ bezeichnet. Mahklyns Kurzsichtigkeit - Merlin Athrawes nannte es ›Myopie‹, warum auch immer -, war im Laufe der Jahre immer schlimmer geworden. Trotz der besten Brillengläser, die man nur schleifen konnte, hatte Mahklyn zunehmend Schwierigkeiten gehabt, selbst gedruckte Schriften zu entziffern. Zumindest noch bis vor kurzem. Jetzt hatten die so genannten Kontaktlinsen, die ihm Merlin zusammen mit einem ›Kom‹ überreicht hatte, sein Sehvermögen auf wundersame Weise wiederhergestellt. Eigentlich sah er besser als sogar noch zu längst vergangenen Jugendzeiten. Das war schon so lange her, dass die Erinnerung ihm einen Streich spielen mochte oder er Dinge in äußerst unwissenschaftlicher Art und Weise verklärte. Aber Mahklyn wusste, dass er jetzt zumindest bei schlechter Beleuchtung deutlich besser sehen konnte als früher. Er vermochte noch nicht in fast völliger Dunkelheit zu sehen - anders als Merlin Athrawes -, aber er sah doch deutlich besser als jeder andere in seiner Umgebung.
»Baron Seamount, Herr Doktor«, sagte der junge Bowave und führte einen recht kleinen, dicklichen Offizier im himmelblauen Kasack und den weit geschnittenen schwarzen Hosen der Imperial Charisian Navy in den großen, sonnenlichtdurchfluteten Raum.
»Ahlfryd!« Mahklyn stand hinter dem Schreibtisch auf und streckte seinem Besucher die rechte Hand entgegen. Die beiden Männer drückten einander die Unterarme.
Sie kannten einander noch nicht lange. Begegnet waren sie einander zum ersten Mal, kurz bevor Merlin Athrawes in Charis eingetroffen war. Doch im Laufe der letzten drei Jahre waren sie wichtige Mitglieder der kleinen, allerdings allmählich anwachsenden Gruppe von Ratgebern und Neuerern gewesen, die Kaiser Cayleb zusammengesucht hatte. Im Gegensatz zu
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