Die Eiserne Festung - 7
kleiner Junge gewesen war. Wahrscheinlich kannte Uhlstyn Sir Koryns eigentümliche Stimmungsumschwünge besser als jeder andere. So nahm er den Befehl nur schweigend zur Kenntnis, griff nach dem Zügel seines Kommandeurs und blieb wachsam stehen, während Gahrvai mit großen Schritten auf das weiße Tuch mit den roten Flecken zustapfte.
Ich möchte jetzt nicht in der Haut derjenigen stecken, die das zu verantworten haben. In Uhlstyns Gedanken hallte sein eigener Zorn wider. Ich habe dem General gedient und auch schon seinem Vater, dem Mann und dem Jungen, und keinen von beiden habe ich jemals zuvor so erlebt. Er wird herausfinden, wer das getan hat, und wenn das geschieht ...
Sir Koryn Gahrvai ging über das Kopfsteinpflaster wie ein Mann über das Schlachtfeld. Er spürte die unnatürliche Stille, die ihn einhüllte; er spürte diesen Kontrast zwischen der kühlen Morgenluft und dem weißglühenden Zorn, der in seinem Herzen loderte. Er zwang sich dazu, eine ungerührte Maske der Ruhe aufzusetzen. Diese Maske jedoch war eine einzige Lüge, denn in ihm gab es keine Ruhe.
Langsam, Koryn! Langsam!, ermahnte er sich selbst. Denk daran, wie viele dich hier beobachten! Denk daran, dass du ein General bist, der persönliche Repräsentant des Regentschaftsrates, nicht einfach nur ein gewöhnlicher Mann! Vergiss das nicht!
Er erreichte das rotbefleckte Tuch. Daneben kniete ein Priester: ein Mann mit Vollbart und hellem Haar, das allmählich ergraute. Er trug den grünen Habit und den Merkurstab eines Bruders vom Pasquale-Orden, und an seiner Priesterhaube steckte die grüne Kokarde eines Oberpriesters.
Der Geistliche blickte auf, als Gahrvai ihn erreichte. Der General sah die Tränen in den grauen Augen des älteren Mannes. Doch die Miene des Priesters war gefasst, beinahe gelassen.
»Pater.« Gahrvai wusste, dass dieses eine Wort deutlich rauer klang, als er das beabsichtigt hatte. Er versuchte, seine kurze Verneigung nicht ganz so schroff wirken zu lassen. Er bezweifelte, dass es ihm gelungen war.
»Herr General«, erwiderte der Priester. Er streckte den Arm aus und strich mit der Hand sanft über das Tuch. »Ich bedauere, dass man Sie hierher hat rufen lassen müssen«, sagte er.
»Ich auch, Pater.« Tief atmete Gahrvai durch. »Vergeben Sie mir!«, sagte er dann. »Ich fürchte, ich bin heute Morgen zu zornig. Aber das ist keine Entschuldigung für Unhöflichkeiten. Sie sind ...?«
»Pater Zhaif Laityr. Ich bin der Pfarrer der Kirche der Siegreichen Erzengel.« Mit dem Kinn deutete der Priester kurz in Richtung eines Kirchturms, der unmittelbar am Grauechsenplatz emporragte. Seine Miene wurde sehr viel angespannter. »Ich bin mir sicher, dass man ihn unter anderem auch hierher gebracht hat, um mir eine Nachricht zukommen zu lassen«, sagte er dann.
Kurz kniff Gahrvai die Augen zusammen. Dann nickte er verstehend. Laityrs Name war ihm durchaus ein Begriff. Sir Charlz Doyal, zu Beginn des Talbor-Pass-Feldzuges Kommandant der Artillerie und jetzt Gahrvais Stabschef, war als solcher auch leitender Auswertungsexperte. Gahrvai gingen noch einmal die Berichte über die stetig anwachsende Reformisten-Bewegung in Manchyr durch den Kopf.
Ja. Die Mistkerle, die das hier getan haben, wollten ganz sichergehen, dass Laityr ihre ›Nachricht‹ auch wirklich erhält, dachte er.
»Damit haben Sie wahrscheinlich leider Recht, Pater«, sagte er nun. »Andererseits war es wohl als Nachricht an uns alle gedacht.« Kurz fletschte er die Zähne. »Und wenn ich herausfinde, wer das war, dann habe ich für diejenigen auch eine kleine Nachricht parat!«
»Pasquale ist ein Erzengel der Heilung, Herr General«, bemerkte Laityr und blickte erneut auf die Gestalt hinab, die unter dem Tuch lag. »Doch nur dieses eine Mal wird er, so denke ich, mir vergeben, wenn ich Ihnen jeden nur erdenklichen Erfolg wünsche.« Wieder legte er sanft die Hand auf das Tuch und strich darüber. Traurig schüttelte er den Kopf. »Das hätten sie ihm wirklich nicht anzutun brauchen.« Er sprach so leise, dass selbst Gahrvai ihn kaum verstand. »Die hätten das nicht zu tun brauchen; die wollten das tun.«
»Ich denke, auch damit haben Sie Recht, Pater«, erwiderte Gahrvai ebenso leise. Laityr blickte zu ihm auf. Kaum merklich zuckte der General mit den Schultern. »Bislang habe ich nur wenig Hass erlebt, der von der Kirche von Charis ausging oder den Reformisten. Aber von den Tempelgetreuen habe ich schon eine ganze Menge Hass gesehen.«
»Ich ebenso«,
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