Die Eiserne Festung - 7
Offenbarungen. Sharleyan wusste genau, was die Inquisition tun würde, sollte sie jemals von der Existenz dieses Tagebuches erfahren. Doch Sankt Zherneau - Jeremiah Knowles - war ebenfalls ein Adam gewesen, und seine Schilderungen der Ereignisse stimmten nicht mit der Heiligen Schrift, den Offenbarungen oder der Lehre von Mutter Kirche überein. Das lag natürlich daran, dass er zu Pei Shan-weis Alexandria-Enklave gehört hatte. Er hatte die Wahrheit über Safehold gewusst; er hatte von den mörderischen Gbaba gewusst, die die so genannte Terra-Föderation vernichtet hatten. Diese Gbaba hatten die letzten Überreste der Menschheit auch dazu getrieben, zu fliehen und sich zu verstecken. Knowles hatte den ursprünglichen Plan für die Besiedlung Safeholds gekannt. Er hatte gewusst, dass keineswegs jegliche Erinnerung an die Gbaba für alle Zeiten verloren gehen sollte. Ursprünglich war man davon ausgegangen, dass früher oder später die Menschheit und die Gbaba wieder aufeinander treffen würden. Diesem Plan nach sollte die Menschheit nur vorübergehend auf jegliche höher entwickelte Technologie verzichten. Das würde so lange nötig sein, wie sie sich in der Unendlichkeit der Sterne verborgen halten könnte. Dann aber würde es unerlässlich, zur rechten Zeit sämtliche Aspekte dieser Technologie wieder in den Vordergrund treten zu lassen.
Die Alexandria-Enklave um Pei Shan-wei hatte diese Wahrheit gekannt und sich geweigert, von ihr abzurücken. Deshalb und aus keinem anderen Grund hatte Langhorne Pei Shan-wei und jede andere lebende Seele dort mit seinem Rakurai ausgelöscht - einem alles vernichtenden kinetischen Bombardement, das Alexandria in das offiziell verdammt und verfluchte Armageddon-Riff verwandelt hatte.
Doch Knowles, seine Gemahlin sowie sein Schwager und seine Schwägerin hatten den Angriff überlebt. Sie hatten sich in einer winzigen Kolonialsiedlung namens Tellesberg versteckt - jenem Tellesberg, das eines Tages zur Hauptstadt des Königreiches Charis werden sollte. Sie hatten ihre eigene Offenbarung verfasst, einen Bericht über das, was tatsächlich geschehen war. Sie hatten diesen Bericht versteckt und darauf gehofft, dass eines Tages, wenn er entdeckt würde, Jahrhunderte später, jemand bereit wäre, die Wahrheit zu erkennen, wenn sie ihm endlich enthüllt wurde.
Genau das war tatsächlich geschehen. Über vierhundert Jahre lang hatte die Bruderschaft von Sankt Zherneau dieses Wissen bewahrt und gehütet. Sie hatte es weitergegeben, hatte insgeheim immer weiter daran gearbeitet, die alles erdrückende politische und spirituelle Tyrannei der ›Kirche‹ zu unterminieren, die Langhorne und Bédard errichtet hatten. Zu keiner Zeit war die Bruderschaft zahlenmäßig groß gewesen. Stets hatten ihre Mitglieder an Wahnsinn grenzende Vorsicht walten lassen müssen, und doch hatten sie niemals aufgegeben.
Es erstaunte Sharleyan, dass sie Knowles' Tagebuch Glauben zu schenken vermocht hatte. Die intellektuelle und spirituelle Integrität, die erforderlich war, als einzelne Stimme Widerspruch zu erheben ebenso wie dieser einen einzelnen Stimme zu glauben, raubte Sharleyan den Atem, wann immer sie darüber nachdachte. Sie hoffte, über sich sagen zu dürfen, wäre sie an Knowles' Stelle oder an der der ersten Mitglieder der Bruderschaft gewesen, hätte sie das Gleiche getan. Doch tief in ihrem Herzen zweifelte sie daran. Auf eine einzige Stimme des Protestes zu vertrauen, wie leidenschaftlich sie auch ihr Wissen verkündete? Wo es doch die Offenbarungen von acht Millionen anderen Adams und Evas gab? Auf das Wort eines Menschen zu bauen, der fast siebenhundert Jahre vor Sharleyans eigener Geburt gestorben war, und nicht dem Wort der lebenden, atmenden Kirche des Verheißenen? Jeden einzelnen Aspekt hinsichtlich Gottes Willen zurückzuweisen, den man sie seit ihrer Kindheit gelehrt hatte?
Nein. So enttäuscht sie auch über die Fehler und Schwächen der Kirche war, so deutlich sie auch erkannte, wie verderbt und korrupt die Männer waren, die über diese Kirche herrschten, Sharleyan hätte es nicht gekonnt. Trotz ihrer zutiefst verwurzelten Überzeugung, die Kirche müsse irgendwie, auch wenn es unmöglich schien, von jener Korruption bereinigt werden, hatte sie doch niemals die grundlegende, alles umfassende ›Wahrheit‹ in Frage stellen können, die man sie über Langhorne und Bédard gelehrt hatte. Und wenn sie ganz ehrlich war, hätte sie das auch niemals geschafft ... wäre sie nicht jemandem
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