Die Eiserne Festung - 7
und die Ermordung des Kronprinzen ist. Welcher Fehler er sich aus dem Blickwinkel anderer Fürstentümer auch schuldig gemacht haben mag - und derer bin ich mir vermutlich deutlicher bewusst als die überwiegende Mehrheit in Corisande -, hier in Corisande selbst war Prinz Hektor sehr beliebt. Er wurde immens respektiert. Viele seiner Untertanen, vor allem hier in der Hauptstadt, bedauern seine Ermordung zutiefst. Dass die Kirche von Charis Cayleb dafür nicht verurteilt hat, macht ihnen diese Kirche immens verdächtig. Ehrlich gesagt, ist das einer der Punkte, den all jene, die offenen Widerstand sowohl gegen die Kirche als auch gegen das Kaiserreich organisieren, mit beachtlichem Erfolg für sich nutzen.«
»Die Kirche«, erwiderte Ahdymsyn, und zum ersten Mal klang seine Stimme eisig, »hat Kaiser Cayleb nicht für den Mord an Prinz Hektor verurteilt, weil die Kirche nicht glaubt, dass er dafür verantwortlich ist! Nun, man kann der Kirche Opportunismus vorhalten: Schließlich wäre es politisch sehr riskant, den einzigen weltlichen Beschützer, den die Kirche auf ihrer Seite weiß, für einen kaltblütigen Mord zu verurteilen. Nichtsdestotrotz gebe ich Ihnen mein Wort, dass Erzbischof Maikel und ich selbst ebenfalls aufrichtig und ehrlich glauben, Seine Majestät der Kaiser habe nicht das Geringste mit Prinz Hektors Ermordung zu tun. Eigentlich reicht als Grund schon aus, dass es unfassbar töricht von ihm gewesen wäre, so etwas zu tun! In Wirklichkeit ...«
Er schloss den Mund so heftig, dass man seine Zähne aufeinander schlagen hörte. Er vollführte eine zornige Geste, als wolle er etwas beiseitewischen. Dann ließ er sich in seine Sessellehne zurückfallen. Einige Sekunden lang herrschte völlige Stille im Raum. Schließlich rührte sich Gairlyng hinter seinem Schreibtisch.
»Sie werden sich erinnern, Mein Lord«, sagte er, und sein Tonfall war sonderbar ruhig, beinahe schon milde angesichts des soeben Gesagten, »dass ich von vier wichtigen Gründen sprach, dieses Amt anzutreten. Ich weiß genau, welche Anschuldigung Ihnen beinahe über die Lippen gekommen wäre. Sie haben sich bewusst davon abgehalten, es auszusprechen, weil Sie wissen, wie es in den Ohren anderer klingen mag. Sie glauben, es sei Mutter Kirche gewesen, die Prinz Hektor hat ermorden lassen!«
Ahdymsyn schien in seinem Sessel zu erstarren. Doch Gairlyng blickte ihn ruhig an.
»Ich glaube das nicht«, sagte der Erzbischof von Corisande sehr, sehr leise. Sein Blick krallte sich förmlich in den seines Gegenübers. »Nicht Mutter Kirche. Aber ich glaube auch nicht, dass es Kaiser Cayleb war. Und das, Mein Lord, ist mein vierter Grund.«
»Weil Ihr glaubt, dass Ihr aus diesem Amt heraus in der Lage sein werdet herauszufinden, wer die Ermordung denn nun angeordnet hat?«, fragte Ahdymsyn nach.
»Oh, nein, Mein Lord.« Mit grimmiger Miene schüttelte Gairlyng den Kopf. Er gestand, was er hatte nie aussprechen wollen, schon gar nicht vor seinen beiden Besuchern. »Nicht Mutter Kirche, habe ich gesagt. Aber ich bin überzeugt davon zu wissen, wer Prinz Hektor hat ermorden lassen.« Ahdymsyn riss die Augen auf, und Gairlyng lächelte freudlos. »Nein, ich glaube nicht, dass es Mutter Kirche war ... ich glaube, dass es der Großinquisitor von Mutter Kirche war«, sagte er leise.
»Was?!« Trotz seiner bemerkenswerten Selbstbeherrschung und der in all den Jahren gesammelten Erfahrung gelang es Ahdymsyn nicht, seine Überraschung zu verbergen. Gairlyngs schmallippiges Lächeln wurde ein wenig breiter, dabei aber keinen Deut herzlicher.
»Wie Sie, Mein Lord, kann ich mir nichts Törichteres, ja, Dümmeres vorstellen, was Cayleb hätte tun können. Und der junge Mann, den ich hier in Manchyr kennengelernt habe, ist alles andere als töricht oder dumm. Wenn ich mir dann alle anderen möglichen Kandidaten anschaue, drängt sich mir ein Name regelrecht auf. Anders als die überwiegende Mehrheit hier in Corisande habe ich Vikar Zhaspahr persönlich kennengelernt. Darf ich annehmen, für Sie gilt das ebenfalls?«
Ahdymsyn nickte, und Gairlyng zuckte die Achseln.
»Dann werden Sie gewiss verstehen, wenn ich sage, dass es in ganz Zion wohl keinen Mann gibt, der bereitwilliger als Zhaspahr Clyntahn Zweckdienlichkeit allem anderen voranstellt. Clyntahn glaubt fest, seine eigenen Vorurteile seien ein genaues Abbild der Wünsche Gottes. Er ist mehr als jeder andere davon überzeugt, sein Verstand überrage den eines jeden anderen Sterblichen bei weitem.
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