Die Eisfestung
angeknipste Taschenlampe. Emily lag, auf einen Ellenbogen gestützt, da und schaute in die Flammen. Allmählich wurde das Feuer immer größer und in dem Zimmer wurde es immer wärmer. An den Wänden und an der Decke tanzten die Schatten.
Die Zeit verstrich. Emily fühlte sich so warm und behaglich wie den ganzen Tag nicht. Sie spürte, wie sie langsam in den wunderbaren, benommenen Zustand zwischen Wachsein und Schlafen versank, ein Gefühl der Zeitlosigkeit – als Marcus plötzlich wieder zu reden anfing.
»Ich hatte recht mit den Schlachten«, sagte er. »Vorgestern, als wir in der Wachstube waren, ihr wisst schon. Es ist um die Burg mehrmals heftig gekämpft worden.«
Emily wurde aus ihrem Dämmerzustand herausgerissen. Von Simon kam ein unzufriedenes Brummen, ein Zeichen, dass er genauso vor sich hin geträumt hatte wie sie.
»Die größte Schlacht war, als König John gegen Herzog Hugh ins Feld gezogen ist.« Marcus redete einfach weiter. »Er hatte mit den anderen Burgherrn des Landstrichs gegen die Macht des Königs aufbegehrt und John wollte ihn dafür bestrafen. 1215 kreuzte er hier mit seinem Heer auf und startete eine wahnwitzige Belagerung. Herzog Hugh und seine Männer sowie alle Dorfbewohner wurden in der Burg eingeschlossen. Sie hatten genug Vorräte, um dort notfalls sechs Monate aushalten zu können. Der König bezog ringsum Stellung, jenseits des Wassergrabens. Er hatte ein Heer von zweitausend Mann, Herzog Hugh nur vierhundert. Der König ließ dem Herzog ausrichten, er werde die Burg nur vorübergehend beschlagnahmen, falls Hugh sich unverzüglich ergab. Der Herzog würde zwar zeitlebens verbannt werden, aber sein Sohn Roger könne das Erbe antreten, sobald er volljährig sei.
Damit war Hugh aber nicht einverstanden. Außerdem hoffte er, dass die anderen Burgherrn ihm bald zu Hilfe eilen würden. Er wies das Angebot des Königs zurück und richtete sich auf eine Belagerung ein. John raste vor Wut und ließ noch am selben Tag zum Angriff blasen. Seine Männer versuchten, über die Brücke in die Burg zu stürmen, aber Hughs Bogenschützen mähten sie alle nieder. Der Burggraben rechts und links der Brücke füllte sich mit Leichen und das Wasser war blutrot. Die Burg einnehmen zu wollen, war ein aussichtsloses Unterfangen. Der breite Wassergraben konnte nur an dieser einen Stelle überquert werden und die Brücke wurde einfach zu gut verteidigt. So blieb König John nichts anderes übrig, als sich zurückzuziehen und abzuwarten. Es gingen Monate ins Land.«
»Und was war mit den anderen Burgherrn?« Simons Stimme ertönte aus der Öffnung seines Schlafsacks. »Sind sie aufgetaucht?«
»Nein. König John brauchte für die Belagerung nicht alle seine Männer, er hatte die Hälfte von ihnen losgeschickt, um in der Umgebung mit den übrigen Rebellen aufzuräumen. Hugh saß in der Falle, keiner kam ihm zu Hilfe. Aber er gab die Hoffnung nicht auf. Er setzte darauf, dass John sich irgendwann langweilen würde oder dass dringendere Geschäfte auf ihn warteten oder ich weiß nicht was. Jeden Tag machte Hugh eine Runde bei seinen Männern in den Wehrgängen der Burg, er sprach ihnen Mut zu, er forderte sie auf, weiter wachsam zu sein, er erzählte ihnen, dass bald Unterstützung kommen würde. Sein kleiner Sohn, Roger, war stets an seiner Seite. Er war erst zwölf Jahre alt, aber er war sehr tapfer, und jedermann in der Burg mochte ihn.«
»Vielleicht war das Rogers Zimmer«, meinte Emily. »Könnte doch gut so gewesen sein, oder? Wäre jedenfalls ein hübsches Zimmer für den Sohn eines Ritters gewesen.«
»Erzähl weiter, Marcus«, sagte Simon. »Hat John die Burg erobern können? Hat er einen Weg gefunden?«
» Er nicht, aber jemand anders. Es gab später einen Mönch, der das für den schlimmsten Verrat in der Geschichte Englands gehalten hat, was ich für etwas übertrieben halte, aber -«
»Erzähl weiter!«
»Okay. Also, Hugh und seine Männer haben sechs Monate lang durchgehalten, dann hätten ihre Vorräte eigentlich aufgezehrt sein müssen. Aber sie waren klug gewesen, sie hatten sie sehr sparsam aufgebraucht, deshalb war immer noch davon übrig. Wasser hatten sie genug – es kam aus dem Brunnen. Zwei weitere Monate vergingen und danach war fast das ganze Getreide verbraucht. Das Pökelfleisch war schon lange vorher aufgegessen worden und die Leute in der Burg waren bereits sehr geschwächt. Einige der alten Männer und Frauen starben, und es gab Gerüchte, dass die Pferde und Hunde
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