Die Eisfestung
können – ›Ich bin ein Lügner‹. Dad hat mir dann ziemlich schnell klargemacht, was er von meiner Entschuldigung gehalten hat, ja, das hat er.«
»Aber...«, sagte Emily, »er... er kann doch nicht -«
»Erzähl mir nicht, was er kann und was er nicht kann!«, fuhr Marcus sie wild an. »Da kenn ich mich verdammt noch mal besser aus als du! Und das war noch nicht alles! Er ist zu seinem Werkzeugschuppen raus und hat einen großen Hammer geholt, so ein Ding aus Holz, wie er es auf der Arbeit hat, mit dem man Pfosten für Zäune einschlägt und solche Sachen. Dann ist er zu meinem Fahrrad, das ich an die Hauswand gelehnt hatte. Er hat es auf die Betonplatten gelegt und mit dem Hammer bearbeitet, bis es nur noch Schrott war. Hat’ne ganze Zeit gedauert. Ich hab auf die Uhr geschaut: sechs Minuten und zwanzig Sekunden. Ist dabei ziemlich ins Schwitzen gekommen, mein Dad. Ich stand daneben und hab zugeschaut. Aber es war mir egal. Ich hab bereits gewusst, was ich tun würde. Als er fertig war, ist er ins Bett gegangen – der arme Mann, hat ihn alles ziemlich mitgenommen. Ich hab die Teile dann hinter den Schuppen getragen, wie er es gewollt hat, damit sie aus dem Weg waren. Danach bin ich ins Badezimmer und hab mir das Gesicht gewaschen. Hab noch was gegessen. Hab fast den ganzen Tag geschlafen.«
Marcus unterbrach seine Erzählung. Mit seinem neuen Thermohandschuh berührte er Emilys Arm und deutete auf die Holzbude im Innenhof. »Ist dir kalt?«, fragte er. »Lasst uns da reingehen. Ich mach schnell den Heizer an.«
Stumm folgten sie ihm in den winzigen Raum. Mit Heizgerät, Brett, Regal und Stuhl war dort kaum Platz für alle drei. Marcus drehte am Schalter des Heizers herum, Emily machte die Tür zu. Ein leises, summendes Geräusch setzte ein, es roch nach verbranntem Staub.
»Dauert keine Minute, dann wird es hier warm.« Marcus griff nach der Packung Butterkekse, die auf dem Brett lag. »Nehmt euch. Em – du setzt dich auf den Stuhl.«
Sie reichten die Kekse herum. Emily saß auf dem Stuhl, die beiden anderen auf dem Boden. Schweigend mampften sie vor sich hin, während die Hitze aus dem Gerät sich langsam ausbreitete. Emily schüttelte sich wohlig, als ihr allmählich warm wurde, aber ihre Augen waren weiter aufmerksam auf Marcus gerichtet. Er wirkte erstaunlich gefasst.
Simon nahm sich seinen dritten Keks. »Wie bist du denn hergekommen«, fragte er, »wenn dein Fahrrad kaputt ist?«
»Dad wollte verhindern, dass ich noch mal abhaue«, sagte Marcus, während er den Keks, den er in der Hand hielt, ausführlich untersuchte. »Er hat tatsächlich geglaubt, wenn er mir das Fahrrad nimmt, würde er mich dran hindern können. Er ist so einfach zu durchschauen. Es hat ihn schon immer wahnsinnig gemacht, wenn ich einfach mit meinem Fahrrad weg bin. Dann konnte er nicht mehr den Daumen draufhaben. Vielleicht war das mit euch bisher die extremste Situation, aber es hat schon oft nicht viel gefehlt. Er hasst es, wenn ich nicht da bin. Könnte ja immer sein, dass er mich braucht. Oder dass er schläft und dann aufwacht und irgendwas von mir will.«
»Ich kann es gar nicht fassen, er hat dich wirklich... verprügelt«, sagte Emily, die das Wort endlich herausbrachte.
»Das war es noch nicht mal. Es war die Sache mit dem Fahrrad... Aber egal – keine Angst, Simon, das wird jetzt keine ewig lange Geschichte -, ich lag im Bett und hab mir einen Plan ausgedacht. Als Dad am nächsten Morgen nach Hause gekommen ist, war ich ganz der brave Sohn. Ich hab ihm sein Frühstück gemacht, hab ihm die Zeitung gebracht, hab gewartet, bis er ins Bett gegangen ist. Er nimmt Schlaftabletten, die ihn sofort ausschalten, danach war ich vor ihm sicher.
Der Rest war kinderleicht. Ich musste nur noch für genug Vorräte sorgen. Ich brauchte Essen, Getränke, Holz für das Feuer, noch ein paar andere Kleinigkeiten. Mein Vorbild war Herzog Hugh, ich stellte mir vor, wie er Getreide und Vieh in die Burg brachte, bevor er das Tor verriegeln ließ. Weil ich gerade dran denke – ich hab eine großartige Idee, wie wir Harris davon abhalten können, hier reinzukommen, falls es nötig wird!« Er machte eine Pause und knabberte den nächsten Keks an.
»Wenn ein Heer in Feindesland war«, fuhr er fort, »dann waren dort Plünderungen an der Tagesordnung. Genau das hab ich jetzt bei Dad gemacht. Zuerst hab ich aus dem Kühlschrank und der Speisekammer genommen, was ich gebrauchen konnte. Das war nicht viel, weil wir fast alles aufgegessen
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