Die Eishölle
Traktor Nummer vier als Reserve in Nylstrom lassen und mit den anderen drei weiterfahren würden, was die Sache vereinfachte. Es blieb gerade noch Zeit, in der untergehenden Sonne an den Rand des Städtchens zu schlendern und einen Blick auf das zu erhaschen, was uns erwartete. Die Schwarzen Berge waren nur noch knapp 50 Kilometer von uns entfernt, und der Weg versprach einfacher zu werden.
Vor uns lag lediglich eine Ebene aus vulkanischer Asche. Der heulende Wind, der ununterbrochen von den Bergen herab wehte, wirbelte eine flache nebelartige Wolke auf, die uns gewisse Probleme verursachen würde. Allerdings waren die Temperaturen hier niedriger, und wir mussten keine solche Hitze ertragen wie in der Wüste. Prescott und Van Damm begleiteten mich auf meinem Spaziergang, die anderen beiden blieben bei der begeisterten Menge auf dem Platz. Zalor war alleine verschwunden.
Die Ansicht war ebenso bizarr wie prachtvoll. Der Wind hatte zeitweilig nachgelassen; der Sturm legte sich. Durch den gespenstischen Schleier der Dunkelheit, der sich über die Ebene legte, drang die Sonne in karmesinroter Pracht und färbte die fernen Spitzen der stumpfen Bergkuppen, bis es aussah, als sei der ganze weite Horizont ein Meer aus schimmerndem Blut. Über die Steilwände des Bergmassivs liefen gefurchte weiße Linien, die aus der Entfernung beinahe wirkten wie eine komplizierte Landkarte oder, mit etwas Fantasie, wie die vielgliedrige Struktur eines Spinnennetzes.
Sogar der für gewöhnlich unterkühlte Van Damm schien ergriffen zu sein, denn er gab einen leisen, fast gemurmelten Ausruf von sich, dessen Sinn ich nicht verstand.
»Ich wünschte, ich hätte meine Kamera mitgebracht«, rief ich unwillkürlich aus. »Das wäre ein exzellentes Motiv als Vorspann für unser letztes Wegstück.«
Der Doktor schüttelte den Kopf. »Sie sind jung, Plowright«, sagte er langsam. »Mir gefällt das nicht. Mir gefällt das ganz und gar nicht.«
Er kehrte dieser Szene von brütender Pracht entschlossen den Rücken und war auch nicht bereit, sich zu seiner Bemerkung weiter zu äußern, obwohl ich an jenem Abend noch einige Male darauf zu sprechen kam.
Später sagte er dazu nur noch: »In meinen Adern fließt seit einigen Generationen nordisches Blut, Plowright. Die nordischen Völker sind Mystiker, wie sie wissen. Als geographische Darstellung auf einer Karte sind die Schwarzen Berge großartig. In der Realität rufen sie in mir jedoch Gefühle hervor, von denen man kaum erwarten kann, dass Sie, als ein aus meiner Warte sehr junger Mensch, sie teilen können. Ich hoffe inständig, dass Sie sich nicht meiner Denkweise anschließen, bevor diese Reise beendet ist.«
II
Ich zog mich ins Bett zurück und war von Van Damms Haltung einigermaßen verärgert und verwirrt. Die Große Nordexpedition war – aus der Sicht eines Laien – eine außergewöhnliche Unternehmung. Als wir losfuhren, wussten vier der fünf Teilnehmer nicht, wohin genau wir reisen würden. Sie wussten lediglich, dass es sich um eine andere Richtung handeln werde. Und bis jetzt hatte Scarsdale, obwohl er mir gegenüber einige Andeutungen über das sich verändernde Licht und die in Stein gehauenen Texte gemacht hatte, nur über technische Dinge gesprochen: über Gummiboote, Traktoren und darüber, wie wichtig es sei, kräftige Leute dabei zu haben.
Aber mein Verstand blüht angesichts von Rätseln auf und, um ehrlich zu sein, waren die meisten meiner Abenteuer von dieser Art. Weder wusste ich noch kümmerte es mich, wohin meine Reisen gingen, vorausgesetzt, dass ich angenehme Reisebegleiter hatte und natürlich die Möglichkeit, zu fotografieren. Dieses großartige Unternehmen versprach beides in Hülle und Fülle. Während ich über diese und viele andere Dinge nachdachte, fiel ich in einen unruhigen Schlaf.
Ich erwachte etwa um drei Uhr früh, und obwohl wir die Läden des Traktors geschlossen hatten, wusste ich, dass es noch vor Sonnenaufgang war. Ich lag einige Minuten lang wach, bevor ich die Uhrzeit auf meiner beleuchteten Armbanduhr ablas. Mich hatte ein leises, metallisches Geräusch, ein verstohlenes Geräusch, aufgeweckt, das sich bald wiederholte.
Ich öffnete meine Augen jetzt ganz, und durch eine leichte Drehung des Kopfes konnte ich die Koje des Professors sehen.
Seine massige Gestalt lag reglos unter der Decke, sein leiser Atem war deutlich zu hören: Er schlief fest. Ich drehte meinen Kopf langsam von ihm weg, als ich bemerkte, dass eine verschwommene Gestalt
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