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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.D. Miller
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Zimmer mit imposantem Konferenztisch und über den Fluss blickenden Fenstern. Es war schon spät an diesem tristen Nachmittag, doch war noch zu sehen, wie unten auf dem Fluss das Eis riss und brach, wie das Wasser große Schollen abschüttelte, sie übereinanderschob oder einfach beiseitedrängte, eine mächtige Schlange, die ihre Haut abstreifte. Entlang der Uferstraße ragten gelbe und graue Gebäude in den schmutzig dämmrigen Himmel, aus deren oberen Fenstern Licht blitzte, als schwebten UFO s im Tiefflug durch diese trübe Suppe.
    Es gab Wodka (sowie, um den Anschein zu wahren, Schwarzbrot und eingelegte Gurken).
    »Was zu trinken?«, sagte der Kosak und ging zielstrebig zur Anrichte.
    »Nur einen«, erwiderte Paolo.
    »Okay«, sagte ich.
    »Nein, danke«, sagte Wjatscheslaw Alexandrowitsch.
    Paolo kannte ihn schon, weil er bei anderer Gelegenheit bereits mit uns zusammengearbeitet hatte, ich aber war bisher nur einmal mit ihm zusammengetroffen, zu Beginn des Winters, als wir ihn für die Sache mit dem Ölterminal einstellten. Er war ein kleiner, blassgesichtiger Mann mit vollem Haar, dicker sowjetischer Brille und besorgtem Blick. Ich denke, wenn man wollte, könnte man behaupten, er sähe wie eine komprimierte oder gestutzte Version meiner selbst aus. Sein Anzug roch nach Zigaretten und Breschnew. Ich weiß noch, dass er sich Wattebäusche in die Ohren gestopft hatte, eine Vorsichtsmaßnahme, zu der einige abergläubische Russen greifen, wenn sie mit einer Erkältung nach draußen gehen.
    Die Wodkaflasche war wie eine Kalaschnikow geformt. Der Kosak fasste sie am Kolben an und schenkte vier große Schnapsgläser ein. Als er mir mein Glas hinhielt, sah ich, dass seine Manschetten kleinen Dollarscheinen glichen.
    »Nur ein Schluck«, sagte er zu Wjatscheslaw Alexandrowitsch, fragte nicht, stellte fest, als er ihm das Glas gab, das er nicht wollte.
    »Auf uns!«, rief der Kosak, kippte den Wodka in einem Zug und wischte sich dann mit beerdigungsschwarzem Ärmel den Mund ab. Paolo und ich stießen an und tranken. Der Wodka war beste Qualität, weich, ohne Nachbrennen, fast ohne Geschmack.
    Wie ein Taucher vor dem Sprung ins Wasser holte Wjatscheslaw Alexandrowitsch tief Luft, dann trank er aus. Er keuchte; die Maulwurfsaugen blinzelten und tränten hinter der dicken Brille.
    Der Kosak lachte und klopfte ihm auf den Rücken. Die beiden Männer dürften etwa gleich groß gewesen sein, doch war der Kosak wie ein massiger Knastgewichtheber gebaut, Wjatscheslaw Alexandrowitsch dagegen wirkte schlaff und hatte einen Wanst, eine dieser schlecht sitzenden Figuren, die es schaffen, zugleich fett und schmächtig auszusehen. Er stolperte vor, fing sich wieder und versuchte zu lächeln.
    »Gut gemacht«, sagte der Kosak. »Also, setzen wir uns.«
    Wir trafen uns, um die Papiere abzuzeichnen, die von den Banken benötigt wurden, ehe der letzte Scheck ausgestellt oder der Geldtransferknopf gedrückt werden konnte. Wir hatten jeder laminierte Kopien der Zusicherungserklärung vom Gouverneur der Arktisregion sowie Narodnefts Zusagen für hohe Öllieferungen. Den Banken lagen die politischen Risikoabsicherungen vor und unser vertrauenerweckender, buchlanger Vertrag. Es fehlte nur noch Wjatscheslaw Alexandrowitschs neuster Fortschrittsbericht.
    Ich machte mir Notizen und war der Einzige, der nicht rauchte. Wjatscheslaw Alexandrowitsch sog hastig an seiner Zigarette, wirkte aber mit jedem Zug weniger entspannt. Er berichtete, der Supertanker sei nun vollständig umgebaut und warte darauf, von den Schleppern zum Bohrplatz gezogen zu werden. Die zwölf Anker, die ihn an Ort und Stelle halten sollten, waren versenkt, der Meeresboden entsprechend vorbereitet. Wjatscheslaw Alexandrowitsch erhob sich, um uns durch seine Präsentation zu führen, die auf einen Bildschirm an der Wand projiziert wurde. Dazu gehörten maßstabsgerechte Zeichnungen und Fotos von scharfkantigem Equipment, das sich unermüdlich in den Schlamm baggerte. Eine der Aufnahmen zeigte einen Abschnitt Rohre, die wie ein achtlos entsorgter Leichnam halb im Eis vergraben lagen, eine andere ein verschwommenes Bild, angeblich vom Grund des arktischen Meeres. Einmal hakte die Präsentation, und ich sah, wie Wjatscheslaw Alexandrowitsch der Schweiß von Hals und Nase tropfte, als er sich am Computer zu schaffen machte.
    Zum Schluss sagte er, er sei zuversichtlich, dass alle Vorbereitungen getroffen worden waren, um baldmöglichst mit verlässlichem Ölexport beginnen zu

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