Die eiskalte Jahreszeit der Liebe
Fotos?«
Die Fotos, die sie mir am ersten Abend gezeigt hatten, im schwimmenden, aserbaidschanischen Restaurant zu Beginn des Winters. Ob ich mich erinnerte? »Ja«, antwortete ich. »Ich erinnere mich.«
Sie sagten, ein entfernter Onkel besäße nicht weit vom Strand ein Haus, in dem wir wohnen könnten. Wir würden schwimmen gehen und in Nachtklubs. Das wird ›klasse‹, sagte Katja. Das wird perfekt, sagte Mascha. Ich sagte, ich käme gern mit nach Odessa.
Zum anderen wollten sie mit mir über Geld reden.
»Stepan Mikhailowitsch hat Probleme mit dem Geld, dem Geld für Tatjana Wladimirowna«, erklärte Mascha. »Weil es mit Firma Probleme gibt. Er sagt, es geht nur sehr langsam voran mit dem Haus. Aber er muss bezahlen seine Leute aus Tadschikistan. Er könnte auch Polizei bezahlen, damit sie alle Tadschiken verhaftet – das wäre billiger –, aber dann muss er neue Arbeiter suchen. Jedenfalls kann er Tatjana Wladimirowna fünfundzwanzigtausend geben, aber für die anderen fünfundzwanzigtausend sieht es schlecht aus. Natürlich will Tatjana Wladimirowna gar nicht so viel Geld, und Stepan Mikhailowitsch könnte einfach sagen, gut, dann kriegt sie eben bloß die Hälfte, nur fünfundzwanzigtausend. Wäre am einfachsten. Aber wir finden, es wäre netter, wenn er sich das Geld leiht, und sie bekommt ganze Summe.«
»Warum gibt Stepan Mikhailowitsch ihr das Geld nicht einfach später, wenn es ihm finanziell wieder bessergeht?«
»Das wäre natürlich möglich«, sagte Mascha. »Aber ehrlich gesagt, ich glaube, nach dem Wohnungstausch wird Stepan Mikhailowitsch denken, es ist besser, er behält das Geld, statt es einer Babuschka zu geben. Falls er aber das Geld jemand Wichtigem schuldet, dann zahlt er vielleicht. Zum Beispiel, wenn er die Schulden bei einem Ausländer hat. Zum Beispiel bei einem Anwalt.«
Ich brauchte einen Moment, bis ich darauf kam. Dann fragte ich: »Wann? Wann braucht er das Geld?«
»Die Abmachung muss gemacht werden am Verkaufstag. Ich denke, das könnte in zwei, drei Monaten sein. Vielleicht schon bald nach Odessa.«
Ich habe mir in London nie ein Haus gekauft. Und die Wohnung, die ich mir eine Zeitlang mit meiner früheren Freundin geteilt habe, war nur gemietet (ich habe sie dir mal gezeigt, glaube ich, damals, auf dem Weg zu diesem Abendessen bei der Frau von deiner ehemaligen Agentur; ihren Namen habe ich vergessen). Ich zögerte, als die Immobilienpreise stiegen, und beschloss zu warten, bis sie wieder fielen. Also hatte ich ziemlich viel Geld nutzlos auf meinem Konto liegen, Geld, das nur wartete, bis ich mich entschied, was ich damit anfangen wollte, was ich mit
mir
anfangen wollte, wenn ich denn einmal erwachsen war. Ich hatte ein erkleckliches Einkommen, verdiente mehr, als meine Eltern je zusammen verdient haben, nach russischem Maßstab vielleicht nicht besonders viel, doch genug, um für einige Monate auf fünfundzwanzigtausend Dollar verzichten zu können. Außerdem hatte ich schon früher ein-, zweimal Geld an Russen verliehen – unter anderem einer Sekretärin im Büro, einer jungen Frau aus Sibirien, die ich auf einer Party kennengelernt hatte und die sich ein Motorrad kaufen wollte – und es jedes Mal zurückbekommen. Ich dachte, ich wüsste sie auszusuchen. Und Mascha und Katja, sagte ich mir, standen auf meiner Seite, egal was passierte. Zugleich zahlte ich gern, war sogar erleichtert – da ich mich auf diese Weise nützlich machen konnte, noch entscheidender aber war, dass ich stets angenommen hatte, einen Preis zahlen zu müssen, und wie sich nun herausstellte, ging es bloß um Geld, wenigstens für mich. Was aber Mascha und Katja betraf, so haben sie mich nur gefragt, weil sie es konnten, fast, als wäre es eine Art moralische Pflicht.
Mascha sagte, sie brauche fünfundzwanzigtausend für Tatjana Wladimirowna, aber die fünfundzwanzigtausend waren auch für das Abendessen mit meiner Mutter, und vor allem für die Tage am Strand von Odessa, an denen wir vielleicht in ebenjenem Zimmer wohnen würden, in dem Mascha das Foto von sich im Schrankspiegel gemacht hatte, fast nackt, ein Bild, das ich immer noch sehen kann, wenn ich die Augen schließe, so wie ein Gläubiger im Exil seine Lieblingsikone zu sehen vermag.
»Okay«, erklärte ich. »Sag Stepan Mikhailowitsch, ich sei bereit, ihm das Geld zu leihen. Sag ihm, ich bestünde darauf.«
»Gut«, sagte Mascha.
»Gut«, sagte Katja und schenkte ein.
»Auf uns!«, rief Mascha, und wir stießen an; ihre
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