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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.D. Miller
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können. Dann senkte er den Blick auf die Tischplatte und rauchte, als hinge sein Leben davon ab.
    »Gute Neuigkeiten!«, sagte der Kosak.
    Paolo und ich beratschlagten uns. Zugegeben, ich war an dem Abend nicht ganz bei der Sache, doch ging es eigentlich sowieso nur um eine Formalität. Selbst wenn wir gewollt hätten, wäre es zu spät gewesen, den Banken Zurückhaltung zu empfehlen. Und wir wollten nicht: Wjatscheslaw Alexandrowitsch schien gründlich gearbeitet zu haben, und Narodneft war noch im Boot. Wir brauchten nicht lang. Paolo sagte, seiner Meinung sollten die Banken das Geld freigeben. Ich stimmte zu. Wir sagten es dem Kosaken.
    »Okay«, erwiderte er und zupfte an seinem Pony.
    Der eigentliche Grund aber, warum ich jenen Abend in Erinnerung habe – der Grund, warum er für mich mit Tatjana Wladimirowna zusammenhängt – ist nicht unsere Zusammenkunft oder die Folter, die der Kosak so meisterhaft an Wjatscheslaw Alexandrowitsch verübte, sondern das, was im Anschluss geschah. Es war das einzige Mal, dass ich Paolo jemals wütend erlebte, selbst wenn ich die späteren Ereignisse einbeziehe, auch das einzige Mal, dass wir uns jemals gestritten haben, gehörte er doch zu den Menschen, die ganz darauf ausgerichtet sind, Streitigkeiten in Einigkeit umzumünzen, akzeptable Formulierungen zu finden, unangenehme Realitäten zu übertünchen.
    Wir schlossen die geschäftlichen Angelegenheiten ab. Durch die plötzlich angebrochene Nacht funkelte der erleuchtete Kreml über den Fluss, und der Kosak lud uns zur Feier des Tages zum Abendessen ein. »Wer weiß«, sagte er, »was noch nach dem Essen kommt.« In seinen Augen flackerten Vergewaltigungen, Plünderungen, Geldwäschepläne.
    Wjatscheslaw Alexandrowitsch entschuldigte sich und ging. Paolo, der Kosak und ich liefen die Straße hinunter zum Hummer mit den getönten Scheiben. Paolo schlug den Kragen seines italienischen Mantels hoch. Ich weiß noch, dass der Kosak eine dieser Pelzmützen aufhatte, die aus dem Fell irgendeiner bedrohten Tierart genäht werden, eine der Mützen, die auf den Köpfen russischer Männer sitzen und die Ohren frei lassen, damit sie beweisen können, was sie doch für tolle Kerle sind. Im Wagen gab es ein Plasma- TV , einen Kühlschrank und einen Fahrer mit einer dunkelroten Narbe quer über einer Wange. Er fuhr das Fenster herunter, ließ die eisige Spätwinterluft herein, griff mit der anderen Hand unter den Beifahrersitz und holte ein Polizeiblaulicht vor, das er aufs Dach knallte. Dann drückte er einen Knopf, und wir brausten in die Dunkelheit davon, mit Blaulicht am Fluss entlang – vorbei an einem Hotel, in dem der Sonntagsbrunch zweihundert Dollar kostete und jenem Haus an der Uferstraße, einem Gebäude mit schlechtem Karma, in dem in den dreißiger Jahren Stalins Handlanger gelebt hatten, bis sie nicht mehr lebten; auf dem Dach drehte sich mittlerweile ein Mercedesstern. In der Kropotkinskaja stand entlang der Kathedralenmauer eine Reihe alter Frauen, klagte Choräle ins gelbe Straßenlicht und wartete, welche rücküberführte Reliquie – eine heilige Haarlocke, der Splitter einer heiligen Kniescheibe – heute drinnen ausgestellt werden würde. Sie sahen unwirklich aus, diese Frauen, wie Komparsen auf einem Filmset, hier in dieser Stadt der Neonlust, der frenetischen Sünde. An der Ampel gab es einen Stau; der Kosak fluchte und trat gegen die Rückseite des Fahrersitzes.
    In Ostoschenka hielten wir vor einem
elitny
-Restaurant/Schrägstrich/Klub. Ich glaube, der Laden hieß Absinth. Das Blaulicht wurde ausgestellt. Im Gehwegschneematsch stand bibbernd eine Schlange Möchtegern-Oligarchen, die hofften, vom hiesigen
feis kontrol
-Supremo durchgelächelt zu werden. Für den Kosaken teilte sich die Menge wie zuvor der Verkehr angesichts seines Blaulichtes. Er trug eine dieser ledernen Männerhandtaschen, gerade groß genug für eine der kleinen, halbautomatischen Waffen, wie sie unter den betuchten, muskelstarken Typen in Moskau damals der letzte Schrei waren – dermaßen modische Accessoires, dass sie irgendwie bedrohlich wirkten, fast, als wollten sie sagen: ›Versucht ruhig, mich zu klauen.‹ Der Kosak zog etwas aus der Tasche, winkte den Türstehern damit zu und betrat das Gelobte Land. Wir stiefelten hinter ihm drein und reichten unsere Mäntel einer hübschen Garderobiere.
    »Was war das?«, fragte ich, als wir uns setzten.
    »Was?«, fragte der Kosak zurück und zitierte mit herrisch lässiger Fingerbewegung

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