Die eiskalte Jahreszeit der Liebe
Nachtklubbühne hinweg auf das schimmernde Schwarze Meer, sah im Mondlicht die Wellenkämme heranrollen auf ihrem Weg zu uns. Mir war, als könnte ich tanzen, könnte tanzen wie die Leiber, die sich auf den Tischen wanden, wie jene, die auf Podien stiegen, um der Welt zu zeigen, wie jung sie waren, wie schön in diesem jungen Sommer. Ich redete mir ein, die Gangster bedeuteten keinen Ärger und Mascha hätte ihren Kuss ernst gemeint. Die Pyramide sah wie eine Pyramide aus, das Fantastische schmeckte nach Glück, die Nacht kam mir wie Freiheit vor.
*
Wir lagen erst knapp eine Stunde im Bett, als das Licht über das Wasser heransegelte, durch die Bäume glitt und unter unseren Hotelvorhänge vorquoll. Ich suchte nach Hinweisen und Spuren, nach Schwangerschaftsstreifen auf Maschas Hüften und schlafendem Bauch, konnte aber nichts finden.
FÜNFZEHN
A ls wir von Odessa zurückkamen, war der Sommer in vollem Schwung. Frühling passiert in Moskau auf die Schnelle und vergeht über Nacht oder während man sich einen Film ansieht: Man wacht auf oder tritt blinzelnd aus dem Kino an die warme Luft, nur um festzustellen, dass er da war und schon vorüber ist. Ich konnte die Hormone spüren, die Energie. Irgendwas musste mit dieser Energie passieren, irgendwer musste irgendwas damit anfangen.
Einige Tage nach dem Rückflug – und ein, zwei Tage vor dem Termin, den wir zur Unterzeichnung der Wohnungsverträge vereinbart hatten – gingen Mascha und ich noch einmal zu Tatjana Wladimirowna. Sie empfing uns an der Tür, scheuchte uns aber gleich wieder nach draußen, um mit ihr einen Spaziergang um den aufgetauten Teich zu machen. Wir hatten ihr erneut ein kleines Geschenk mitgebracht, einen Kühlschrankmagneten, auf dem das Opernhaus von Odessa und der Kopf einer stolzen Zarin zu sehen waren. Tatjana Wladimirowna hielt ihn sich dicht vor die Augen und steckte ihn dann in die Innentasche ihres knappen, marineblauen Frühlingsmantels. Eines Tages, sagte sie, würde sie gern einmal ans Schwarze Meer fahren.
»Werden Sie«, sagte ich.
»Vielleicht«.
Danach erzählte ihr Mascha, dass es mit den Wohnungen ein Problem gebe. Eigentlich sogar zwei. Bei dem ersten Problem, das laut Mascha mir aufgefallen sei, gehe es darum, dass Tatjana Wladimirowna, wenn sie wie vereinbart ihre alte gegen die neue Wohnung tauschte, unter Umständen mehrere hunderttausend Rubel Grundsteuer zahlen müsste. Die Behörden, sagte Mascha, würden berechnen, was ihrer Ansicht nach die neue Wohnung wert sei und auf diese Summe dann die fünfzigtausend Dollar aufschlagen, um den Nennwert ihrer alten Wohnung zu ermitteln. Die Gesamtsumme läge damit vermutlich über dem Limit, bei dessen Überschreitung Grundsteuer anfalle. Folglich könnte Tatjana Wladimirowna die fünfzigtausend Dollar verlieren und müsste außerdem vielleicht sogar noch Geld zahlen.
»Stimmt das, Nikolai?«, fragte mich Tatjana Wladimirowna. Ich weiß nicht, wieso sie mir dermaßen vertraute. Mascha sah mich an und blinzelte nicht, ermutigte mich nicht, nickte mir nicht einmal verstohlen zu, da sie längst wusste, was ich bereit zu tun und zu sagen war.
»Das stimmt«, sagte ich in meinem besten Anwaltston, obwohl ich davon zum ersten Mal hörte. Später habe ich es überprüft: Es stimmte nicht, klang aber echt.
Es gäbe eine Lösung, erklärte Mascha. Man könnte zwei separate Verträge aufsetzen: einen für den Verkauf von Tatjana Wladimirownas Wohnung am Teich, ausschließlich über die fünfzigtausend Dollar, und einen zweiten für den Kauf der neuen Wohnung in Butowo. In diesen zweiten Vertrag würde eine angemessen klingende Summe für die Butowo-Wohnung eingesetzt werden, eine Zahl, die hoch genug war, damit die Behörden keinen Betrug vermuteten. Allerdings sei die genaue Summe unwichtig, da Tatjana Wladimirowna sie nicht zahlen müsse.
»Zwei Verträge«, sagte Tatjana Wladimirowna. »Ich verstehe. Wie lang wird es noch dauern, bis wir den zweiten Vertrag unterschreiben, den für meine neue Wohnung?«
»Das ist bald so weit«, sagte Mascha. »Sehr bald.«
Tatjana Wladimirowna blieb stehen, schlug einen Moment die Augen nieder und schaute auf ihre Schuhe. Dann zuckte sie die Achseln. »Okay.«
Bei dem zweiten Problem, fuhr Mascha fort, gehe es darum, dass Stepan Mikhailowitsch angerufen habe. Die neue Wohnung sei fast fertig, aber eben noch nicht ganz. In ein, zwei Wochen würde es so weit sein, habe er versprochen, spätestens in drei Wochen. Mascha schlug vor, dass
Weitere Kostenlose Bücher