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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.D. Miller
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Tatjana Wladimirowna dennoch die alte Wohnung wie geplant verkaufe, die Papiere unterschreibe und das Geld nehme. Wir hätten, sagte Mascha, bereits einen Termin mit der Bank vereinbart, wo man das Bargeld zählen würde, und wenn wir den Vertragsabschluss jetzt noch verschöben, würden wir trotzdem dafür zahlen müssen. (In jenen Tagen wurden Immobiliengeschäfte, wie auch alle übrigen russischen Transaktionen einer gewissen Größenordnung – Richter kaufen, Steuerinspektoren bestechen – ausnahmslos in bar abgewickelt.)
    »Dafür müssen wir bezahlen?«
    »Ja, Tatjana Wladimirowna«, sagte ich.
    Allerdings, führte Mascha weiter aus, könne Tatjana Wladimirowna in der Wohnung am Teich wohnen bleiben, bis die in Butowo fertig sei. Es ginge nur noch um die Küche, sagte sie, Stepan Mikhailowitsch müsse die neuen Arbeitsflächen anbringen und den Geschirrspüler aufstellen, dann sei alles fertig. Danach brauche sich Tatjana Wladimirowna bloß noch aus dem Register für die alte Wohnung auszutragen – den Behörden also Bescheid geben, dass sie nicht mehr dort lebte. Offiziell wohnte sie dann nirgendwo. Mascha erklärte dies alles ohne Hast und ohne sich zu verhaspeln, wirkte weder nervös noch irgendwie beunruhigt. Sie war erstaunlich.
    »Geschirrspüler!«, sagte Tatjana Wladimirowna und lachte. Dann schwieg sie, eine lange Pause, in der ich fürchtete, dass sie zustimmte, noch mehr aber – ich gebe es zu –, dass sie es nicht tat. Ich weiß noch, ich blickte auf den Boden und dachte, wie wundersam trocken der Weg um den Teich doch war. Die Bäume sahen wieder lebendig aus, ein fast reines Grün, und aus dem Restaurantzelt am anderen Ufer drang lautes Klopfen. Die zauberhaften Tiere an der Wand des dem Haus von Tatjana Wladimirowna gegenüberliegenden Gebäudes schlichen sich an, stürzten sich auf ihre Beute und schimmerten wieder so kräftig, als wären sie für den Sommer frisch gestriegelt worden.
    Schließlich sagte Tatjana Wladimirowna: »Okay. Treffen wir uns auf der Bank«, und zu dritt gingen wir weiter.
    *
    Der auf meiner Straße begrabene Schiguli war aus seinem Schneekokon wieder aufgetaucht. In der Windschutzscheibe klaffte ein Riss, ansonsten aber sah er sauberer als vor seinem Verschwinden aus, fast als wären die Flecken vom Winter fortgewaschen worden. Als ich an dem Gebäude vorbeikam, in dem Oleg Nikolaewitschs Freund wohnte, vielmehr gewohnt hatte, bemerkte ich einen Trupp tadschikischer Bauarbeiter, die Karren mit Sand anfuhren, Sperrholzplatten schleppten und Farbeimer die Treppe hinauftrugen. Das Sommercafé an der Ecke zum Bulwar hatte die Läden weit geöffnet, um die zärtliche Luft einzulassen. Und die Pappeln, die irgendein genialer sowjetischer Planer in der ganzen Stadt hatte pflanzen lassen, waren brunftig und verspritzten ihren pelzigen weißen Samen – eine gutartige Juniplage, die von den Moskauern ›Sommerschnee‹ genannt wird, der im Haar hängenbleibt, manchmal auch in der Kehle, und sich am Straßenrand in Klumpen sammelt, die von betrunkenen Jugendlichen in Brand gesteckt werden.
    Die Bank, in der wir den Vertrag unterzeichnen und das Geld zählen lassen wollten, lag unweit von Tatjana Wladimirownas Wohnung in einem als Kitai-Gorod, also Chinatown, bekannten Stadtteil Moskaus. Nebenan, das weiß ich noch, war eine Spielhalle und gegenüber ein DVD -Discounter. Ich hätte mich fast verspätet. Es war ein Wochentag, ein Montag, meine ich, und wir hatten im Büro alle Hände voll mit einem neuen Kredit zu tun. Moskau wurde immer noch mit Geld überschüttet, selbst nach dem, was der Kreml diesem aufmüpfigen Öltycoon, seinem unglückseligen Anwalt und den aufgebrachten Aktienbesitzern angetan hatte. Als ich kam, standen sie in einem Grüppchen vor der Bank, Mascha und Katja in hüftengen Hosenanzügen, Stepan Mikhailowitsch mit seinem Rattenschwanz und einer vage nach Tweed aussehenden Jacke, Tatjana Wladimirowna in langem Faltenrock und brauner Bluse. Wir gingen hinein, vorbei an einer Reihe griesgrämig dreinblickender Schalterbeamter hinter Sicherheitsglas und durch mit Sicherheitskodes geschützte Türen in eine Art Sitzungszimmer, die Fenster wie in einem Gefängnis hoch in der Wand, nahe der Decke, auf dem Tisch lauwarmes Wasser in einer Karaffe.
    Zwei Bankangestellte erwarteten uns: ein Mann, um die Dokumente gegenzuzeichnen, die zum staatlichen Katasteramt geschickt werden würden, eine Frau, um das Geld zu zählen, das Stepan Mikhailowitsch in einer

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