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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.D. Miller
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hatte er längst begriffen, dass es zu spät war, von mir noch allzu viel Hilfe zu erwarten. So wie es auch dafür zu spät war, dass seine Meinung über mich und die Mädchen noch irgendeinen Unterschied gemacht hätte.
    Um unser Schweigen zu beenden, erzählte ich, dass ich Anfang Juni für einige Tage nach Odessa fliegen würde.
    Oleg Nikolaewitsch sah mir in die Augen, dann blickte er kurz zu Mascha und Katja in ihren Trägerkleidern hinüber. Als er dann antwortete, schien er einen Punkt irgendwo oberhalb meines Schlüsselbeins anzusprechen.
    »Lädt man ein Schwein zum Essen ein«, sagte er, »legt es die Füße auf den Tisch.«
    *
    Wir schauten uns das Feuerwerk auf dem Puschkinplatz an, Tatjana Wladimirowna stand untergehakt zwischen mir und Mascha. Ich glaube, sie war gern mit Liebespaaren zusammen, auch wenn die Liebe meist nicht ihr galt. Katja hatte ein Päckchen Wunderkerzen mitgebracht, die sie nun verteilte, und wir winkten einander damit zu. Sobald die Raketen aufstiegen, sahen wir in den Himmel über dem Kreml und riefen ›oooh‹ und ›aaah‹.
    »Vergnügt euch, Kinder«, sagte Tatjana Wladimirowna, als sie gute Nacht wünschte, blies einen Kuss in unsere Richtung und zwinkerte mir zu.
    *
    Ich nahm mir einen weiteren Tag frei, und an einem Freitagmorgen flogen wir nach Odessa. Mit dem Haus am Strand wurde es nichts, falls es das je gegeben hatte, also wohnten wir in einem Hotel. Ich bezahlte, natürlich, und zum Dank durfte ich die große Show abziehen, checkte mit zwei Frauen ein, kam mit zwei Frauen zum Frühstück. Das Hotel in einer hübschen, behäbigen Allee, lag, gesäumt von blühenden Bäumen und den Statuen toter Odessiten, gleich oberhalb der prächtigen alten Stufen, die zum Meer hinabführten. Es hatte eine prächtige Holztreppe, ein Restaurant, in dem man sich einmal wie im Ritz gefühlt haben musste, und bot einen Blick auf die frühe, in ölschwarzem Meer schwimmende Sommersonne. Allein dir davon zu erzählen, bringt die Erinnerung daran zurück.
    Wir nahmen anderthalb Zimmer – ein großes Schlafzimmer mit einer Kammer für ein Kinderbett und einem gemeinsamen Bad. Katja ging gleich aus, um zu flanieren und zu flirten. Und ich gebe zu, ich bat Mascha, ihr Oberteil auszuziehen, die Schranktür zu öffnen und sich vor den Spiegel zu stellen, genau wie auf dem Foto, das sie mir ganz zu Beginn gezeigt hatte. Nur saß ich diesmal hinter ihr, sah sie von hinten, ihrer Vorderseite im Spiegel und mich bei ihr. Unsere Augen trafen sich irgendwo in der Tür, unsere Abbilder im Spiegel waren hautnah beieinander, während wir uns in Wahrheit bereits trennten, schon weit auseinander waren.
    Ich saß, sie stand, und nur unsere Augen redeten, bis Mascha mich in demselben heftigen Ton, den sie auch schon auf dem Flughafen angeschlagen hatte, im Spiegel fragte: »Ist es jetzt genug, Kolja?« In Odessa war sie aufmerksam, pünktlich und erfüllte zuvorkommend meine Bedürfnisse, die sie mittlerweile ja kannte, doch war es, als wäre sie eigentlich gar nicht da, oder als wäre ich schon nicht mehr da, in ihrem Kopf, und vielleicht konnte sie deshalb, weil ich nicht mehr da war, so großmütig sein.
    Wir zogen uns an. Oben auf der Treppe, die von der schattigen Allee hinab an den Strand führte, sahen wir ein Zwergenkrokodil, eine kahlköpfige Eule und einen nervösen Affen, die nur darauf warteten, dass vertrauensselige Touristen sich mit ihnen fotografieren lassen wollten. In der Sonne war es warm, im Schatten fast kalt. Die Cafés in Odessa bereiteten sich auf die Saison vor, öffneten ihre Schirme und fuhren ihre Markisen aus, als wären sie Tiere, die sich nach langem Winterschlaf reckten. Schüchterne Amerikaner unterhielten sich verlegen über die Speisekarte mit ihren Online-Bräuten, deretwegen sie hergeflogen waren. Zwei junge Frauen mit Strumpfbandhaltern und knielangen Plastikstiefeln verteilten Werbezettel für einen Stripklub. Angesichts dieser hemmungslos sündigen Slawen kam mir die Frage, ob ich mich nicht geirrt hatte, als ich behauptete, die Religion sei tot. Vielleicht muss man, um derart unmoralisch zu sein, doch an etwas glauben, an irgendwelche alten, hinfälligen, im Hinterkopf lauernden Götter, denen man fest entschlossen trotzen will.
    Am frühen Nachmittag fuhren wir mit dem Taxi zum Badestrand.
    Ich fragte Katja: »Wie waren die Examen?«
    »Was für Examen?«
    »Deine Examen an der Moskauer Staatsuniversität.«
    »Ach die«, sagte sie. »Meine Examen.

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