Die Eiskrone
Gesicht und Kopf. »Jetzt«, flüsterte die Prinzessin, und sie drückten mit aller Kraft. Erst bewegte sich die Falltür kaum, aber dann zeigte sich ein kleiner Spalt, durch den graues Tageslicht fiel. Sie stemmten sich erneut ein, und nun schlug ihnen die feuchte, regenfrische Luft entgegen.
Roane schwang sich nach oben und streckte ihre Hand aus, um der Prinzessin zu helfen. Dann standen sie auf dem Dach des Turmes. Die Brustwehr war etwa hüfthoch. Roane ließ vorsichtig die Falltür hinunter. Ob sich ihre Lage nun verbessert hatte, mußte sich erst herausstellen. Vielleicht konnten sie hierbleiben, bis die Männer unten weggeritten waren. Das konnte noch sehr lange dauern, und sehr erfreulich war diese Aussicht nicht.
Aber die Prinzessin kroch auf Händen und Knien an der Brustwehr entlang und tastete sie ab, als suche sie etwas ganz Bestimmtes. Endlich zog ihr Zeigefinger einen Umriß an der Brustwehr, dann auf dem Boden darunter nach.
»Das Glück ist uns günstig gesinnt«, sagte sie. »Hier ist tatsächlich ein Betrüger, ein Übergriff.«
Roane schaute über die Brustwehr hinunter. In geringer Entfernung bemerkte sie einen Felsvorsprung an der Klippe, vor welcher der Turm erbaut war. Sie versuchte die Entfernung zwischen der kleinen Felskanzel und dem Turm abzuschätzen, doch für einen Sprung war sie auf jeden Fall zu groß. Aber die Prinzessin war schon eifrig dabei, Mauerbrocken, Steine und welke Blätter von der bezeichneten Dachstelle zu entfernen.
»Ah, hier ist es!« Sie hatte einen Mauerriß freigelegt, in dem Roane eine ganz gewöhnliche Fuge vermutete. »Gib mir dein Messer! Ich muß das hier lockern!«
Ludorica schien genau zu wissen, was sie wollte, und Roane reichte ihr das Messer; sofort bohrte sie die Messerspitze in den Spalt und holte kleine Brocken einer schwarzen Masse heraus. Jetzt erst sah Roane, daß der Spalt viel breiter war, als sie geglaubt hatte, und bald konnte Ludorica mit einem Finger hineingreifen.
Ungeduldig winkte sie Roane zu. »Zurück! Dorthin! Vielleicht brauche ich noch lange, weil die Masse sehr alt ist. Man hat diese Übergriffe während der Nimp-Invasion gebaut, und ich habe noch keinen gesehen, der nicht funktioniert hätte. Ich muß nur den Schlüsselstein finden.«
Geschickt tastete sie die ganze Spalte ab, und endlich war ein leises, schabendes Geräusch zu vernehmen. Ein ganzer Steinblock bewegte sich und schob sich zur Brustwehr. Ein Stück, so breit wie der Steinblock, senkte sich eine Kleinigkeit, und der Block glitt, als sei er an unsichtbaren Angeln aufgehängt, nach außen.
»Hilf mir«, keuchte die Prinzessin, und Roane schob den Steinblock an, bis er eine kleine Brücke über die Brustwehr bildete, die fast bis zur Felsnase drüben reichte. Nicht ganz, aber mit einem einzigen Schritt war das fehlende Stück zu überwinden.
Die Prinzessin hockte sich auf ihre Fersen, um sich von der Anstrengung zu erholen. »Wir müssen uns beeilen, denn diese Brücken halten nicht lange.«
Roane kroch auf Händen und Füßen hinüber, denn sie wagte nicht aufrecht zu gehen, weil sie nicht schwindelfrei war.
Als sie das Ende des vorgeschobenen Blockes erreicht hatte, zögerte sie einen Augenblick und sprang dann zur Felsnase hinüber. Aufatmend blieb sie stehen und streckte die Hände aus, um der Prinzessin zu helfen.
Das war sehr klug, denn in dem Augenblick, als Ludorica nach Roanes Händen griff, bewegte sich der Stein und glitt langsam zur Brustwehr zurück. Mit einem Sprung war Ludorica in Sicherheit, dann war die Brücke verschwunden, und die Brustwehr sah aus wie vorher.
»Und jetzt auf nach Yatton!« rief die Prinzessin und versuchte ihre Kleider in Ordnung zu bringen. Sie tat ein paar Schritte und zuckte zusammen. Sie hatte sich ein Steinchen in die Fußsohle getreten, das sie nun abstreifte.
Roane dachte an ihre eigenen Pläne, nach denen sie der Prinzessin zwar helfen, aber dann sofort in den Wäldern untertauchen wollte. Aber nun entdeckte sie, daß sie ihre Gefährtin nicht einfach verlassen konnte. Der Regen war kalt, die Prinzessin barfuß. Wie lange würde es dauern, bis die Männer im Turm die Flucht ihrer Gefangenen bemerkten? Und dann – nun, sie mußten damit rechnen, daß die beiden berittenen Männer sie bald einholten.
»Wo liegt denn dieses Yatton?« fragte Roane ungeduldig. Eine andere Möglichkeit wäre die, Ludorica ins Lager zu bringen, aber bei diesem Gedanken witterte sie Unheil. Egal, was sie auch tat – mit jedem
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