Die Eiskrone
gesplitterten Bäumen hatte ihn zugeschüttet.
Roane schrie und schob die Prinzessin zur Seite; fieberhaft versuchte sie die Verbindung zur Außenwelt wieder herzustellen, und es gelang ihr auch, an einigen Ästen zu zerren, doch darunter war ein großer Felsblock, den sie nicht bewegen konnte. Vielleicht konnte sie mit ihrem Stab unten eine flache Mulde herausschneiden.
»Sind wir hier … in einer Falle?« fragte Ludorica.
Roane kniete nieder und richtete ihren Stab auf den Block. In gewisser Weise war ihr Problem jetzt gelöst; ihr und Ludoricas Leben hing von der Hilfe anderer ab – vom Lager. Nur Onkel Offlas und Sandar hatten die Ausrüstung, mit der sie beide befreit werden konnten.
»Ja, wir sind eingeschlossen«, gab Roane zu. »Meine Energie reicht für einen Durchbruch nicht aus. Ich muß um Hilfe rufen.« Sollte sie der Prinzessin erklären, was das möglicherweise zu bedeuten hatte? Oder sollte sie nur warten und hoffen, daß etwas geschah, was ihr selbst die Entscheidung abnahm?
»Ja, das könnte Och’s Versteck sein«, überlegte die Prinzessin laut. »Müssen wir uns unbedingt hier zusammenkauern, wenn wir schon auf Hilfe von außen warten müssen? Wenn es wirklich das Versteck ist, und ich kann die Krone finden …« Sie holte tief Atem. »Für mich und für Reveny wäre das der größte Tag seit hundert Jahren.«
»Welche Krone suchst du?« fragte Roane. Sie erinnerte sich der vielen Entdeckungen früherer Forschergruppen, und sie wußte, daß es tatsächlich manchmal um richtige Schätze, also Edelsteine, Kunstgegenstände, Edelmetalle und ähnliche Dinge ging. Was sie hier suchten, waren Maschinen, Tonbänder und dergleichen, und solche Funde hielt man für so wichtig, daß man eine Expedition nach Clio geschickt hatte.
»Unsere Krone«, erklärte die Prinzessin. »Die Eiskrone von Reveny.« Sie blickte geistesabwesend den dunklen Tunnel entlang. Dann wandte sie sich wieder Roane zu. Ihr Gesicht war von einem Anflug von Angst überschattet.
»Es ist ein großes Geheimnis, Roane Hume. Nur zwei Personen kennen es; mein Großvater, der König, und ich. Mit den heiligsten Eiden habe ich geschworen, nicht darüber zu sprechen. Nun bin ich eine Eidbrüchige.«
»Aber ich bin nicht von Reveny, und wenn du willst, dann werde ich schwören, nicht darüber zu sprechen.«
»Wenn dies hier Och’s Versteck ist, dann ist kaum ein Schaden angerichtet, aber ich muß es unter allen Umständen genau wissen! Komm, Roane Hume, nimm dein Licht und laß uns suchen …«
Wenn sie auf Hinweise auf frühere Forschungsgruppen stießen, und die Prinzessin sah sie? Aber spielte das jetzt noch eine Rolle? Roane mußte das tun, was sie schon längst hätte tun sollen.
»Erst muß ich um Hilfe rufen, damit man uns befreien kann«, sagte sie und fingerte an ihrem Kommunikator. Sie wartete und bekam das Antwortsignal, gab ihren Standort durch und berichtete, was sie möglicherweise entdeckt hatte. Die Prinzessin erwähnte sie nicht.
Die Antwort war eine schnelle Folge kurzer Blitze, die hellen Jubel ausdrückte, und man versprach ihr, schnellstens zu kommen. Sie gab sogar noch eine Warnung vor den Männern durch, die auf ihrer Suche nach der entwischten Prinzessin wahrscheinlich den ganzen Wald durchkämmten.
Ludorica stellte keine Fragen, sondern richtete nur immer wieder den Lichtstrahl in den Tunnel.
»Kannst du mir genau sagen, was du suchst?« bat Roane.
»Da du nun einen Teil davon weißt, sehe ich keinen Grund, dir den Rest zu verschweigen. Die Eiskrone ist die Krone von Reveny, die vor langer Zeit von den Hütern verliehen wurde, so wie die Flammenkrone den Herrschern von Leichstan oder der Goldreif, der den Königen von Thrisk gehört. Doch das weißt du sicher alles. Mein Großvater, der König Niklas, kam schon als Junge auf den Thron, und seine Stiefmutter zur linken Hand, die Königin Olava, regierte in seinem Namen. Sie war nicht aus königlichem Geblüt, aber mein Urgroßvater heiratete sie, als er schon sehr alt war. Sie entstammte der Familie der Jarrfar, denen einmal dieses Hügelland hier gehört hatte, und sie hatten auch einmal versucht, es zu einem Königreich zu erheben. Es gelang ihnen nicht, da ihnen die Hüter keine Krone verliehen hatten.
Das Herrschen lag ihnen im Blut, und sie wollten auch nicht darauf verzichten, als ihr Landbesitz immer mehr zusammenschmolz und schließlich nur noch aus einer Burgstatt und zwei Dörfern bestand. Olava war von großer Schönheit, und ihre Familie
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