Die Eiskrone
ziemlich unempfindlich und hatte außerdem den weitreichenden Immunitätsschutz, den ihre eigene Zivilisation ihr bieten konnte. Sie war sich natürlich darüber klar, daß Ludorica nicht so widerstandsfähig war wie sie. Und wenn sie nun krank wurde? Dann mußte sie die Prinzessin sowieso ins Lager bringen.
Jedenfalls war sie sich darüber im klaren, daß Ludorica nicht mehr viel ertragen konnte. Die Prinzessin klagte zwar nicht, blieb aber immer weiter zurück. Zweimal kehrte Roane um und fand sie an einem Baum lehnen, an dessen Äste sie sich klammerte, als müsse sie ohne diese Stütze zusammenfallen. Roane mußte sie nun fast tragen.
Bald kamen sie zu einem jener steinigen Hügel, die Roane schon bekannt waren. Eine Flanke war frisch aufgerissen, und es roch nach frischverbranntem Holz. Vielleicht hatte hier der Blitz eingeschlagen und einen Erdrutsch ausgelöst.
Dieser Erdrutsch hatte eine riefe Spalte oder eine Höhle freigelegt. Hier war ein Unterschlupf für die Prinzessin.
4
Roane wußte, daß sie nicht sehr weit vom Lager entfernt waren. Die Prinzessin konnte hier bleiben, bis sie selbst mit Kleidern, Schuhen und Lebensmitteln zurückkehrte. An die vor ihr liegenden Schwierigkeiten mochte sie gar nicht denken. Immer nur den nächsten Schritt planen, sagte sie sich.
Als sie den schmalen Höhleneingang hinter sich hatten, waren sie vor dem Regen sicher. Die Höhle weitete sich aus und schien weit ins Dunkle zu reichen. Sie ließ die Prinzessin auf den Boden gleiten und schaltete ihre Lampe ein.
Das war keine natürliche Höhle, und sie staunte über das, was sie im Licht der Lampe zu sehen bekam. Sie stand im Vorraum zu einem Tunnel, der, wie sie aus ihren archäologischen Erfahrungen heraus wußte, von Menschenhand gebaut worden war. Die Wände waren so glatt, daß sie sich wie Metall anfühlten, obwohl sie wie gewachsener Stein aussahen.
Schnell stellte sie ihren Detektor ein und hörte jenes Klicken, das ihre Vermutung bestätigte. Der Tunnel im Fels war künstlich geschaffen und sehr alt. Ganz zufällig war sie also über die Stelle gestolpert, die sie suchten! Roane griff nach ihrem Armbandkommunikator, um diese Neuigkeit dem Lager zu übermitteln, aber dann …
Nein. Onkel Offlas und Sandar durften die Prinzessin nicht sehen. Kein Bewohner von Clio durfte mit dem Wissen von dieser Entdeckung frei herumlaufen. Stellten sie sich auf eine solche Art bloß, dann traf sie der schlimmste Bann des Service. Vermutlich schickte man sie dann auf irgendeinen Hinterwäldlerplaneten. Die Karrieren von Onkel Offlas und Sandar waren dann unwiderruflich ruiniert.
Wenn sie das verhindern wollten, mußten sie das Mädchen, das nun erschöpft auf einem Stein hockte, für immer zum Schweigen bringen. Das hieß Tod. Roane kannte die entsetzlichen Geschichten, die man sich aus der ersten Zeit der Raumkolonisation erzählte.
Heute griff man lieber zu anderen Mitteln – zu geistiger Blockade, Gedächtnissperren und ähnlichen Dingen. Oder man machte sie bewußtlos und schaffte sie in diesem Zustand zu einem anderen Planeten. Auf jeden Fall würde eine Unschuldige das Opfer sein. Roane konnte also nur auf ein Wunder hoffen.
Während sie noch um einen Ausweg aus diesem Zwiespalt kämpfte, legte sich eine Hand um ihr Kommunikationsgerät, das sie eigentlich hätte benützen müssen. »Was ist das für ein Ort?« fragte die Prinzessin. »Es ist keine Höhle.«
Sie hatte geglaubt, Ludorica sei noch viel zu erschöpft, um Interesse für ihre Umgebung zu zeigen. Aber die Prinzessin war aufgestanden und musterte Roane, als könne sie nicht glauben, was sie sah.
»Du hast es geschafft«, murmelte sie. »Du hast uns zu Och’s Versteck gebracht. Die Krone … Gib mir die Krone zurück!«
»Ich weiß nicht, was du meinst. Welche Krone? Und was ist Och’s Versteck?« Wäre es möglich, daß eine frühere Forschungsgruppe schon Entdeckungen in Reveny gemacht hatte, so daß sie zu spät kamen? Aber die Robotspäher des Service hatten nicht die geringste Andeutung für eine solche Möglichkeit gefunden. Ereignisse von solcher Tragweite hätten sich tief in das Gedächtnis eines Volkes geprägt.
Die Prinzessin sah die Außenweltlerin lange an, als wolle sie durch einen Willensakt dieses Geheimnis enthüllen, doch da kam vom Höhleneingang her ein Dröhnen.
Roane wirbelte herum, und Ludorica hielt sich an ihr fest. Im Strahl der Lampe stellte sie fest, daß es keinen Eingang mehr gab. Ein Gewirr aus Erde, Felsen und
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