Die Eiskrone
war überzeugt, sie könne durch ihre Schönheit das erreichen, was sie mit Waffengewalt nicht hatten erzwingen können. Man brachte sie also an den Hof und bot sie demütig als Magd an.
Der König war damals schon seit langer Zeit Witwer. Er hatte natürlich seine Damen zur Verfügung, aber alle fanden nur vorübergehend seine Gunst. Er war bei seiner Wahl auch äußerst vorsichtig und nahm nur solche, die sich mit kleinen Gunstbeweisen und Geschenken zufriedengaben.
Anfangs schien Olava von der gleichen Art zu sein, aber man täuschte sich in ihr. Man sagt, ehe sie an den Hof kam, habe sie eine weise Frau aufgesucht, welche sich mit Dingen abgab, an die man besser nicht rührt. Aber solche Dinge erzählt man schließlich von jeder Frau, welche die Gunst eines Hochgeborenen gewinnt.
Wenige Jahre später war sie die zur linken Hand angetraute Frau, dann wurde sie sogar Königin, wenn ihr auch trotz ihrer traurigen und flehentlichen Bitten die eigentlichen Kronrechte nicht zugestanden wurden. Mein Urgroßvater mag in sie vernarrt gewesen sein, aber er war aus königlichem Blut, und es ist wahr, daß die Krone den sucht, von dem sie getragen werden will. Wer einmal ausgewählt wurde, kann als König oder Königin die Krone niemals mehr ablegen. Sie stehen unter dem besonderen Schutz der Hüter. Manchmal allerdings hat die Krone ihrem Träger schon den Tod gebracht, weil ein anderer sie haben wollte.
Olava mußte also den Tod des Königs abwarten, und sie hoffte, ihr eigener Kandidat möge von der Krone ausgewählt werden, ehe sein Sohn die Hand danach ausstreckte. Sie hatte ihrem eigenen Sohn die Krone zugedacht, obwohl sein Vater ihn niemals aus dem Kelch der Könige hätte trinken lassen. Er war ja nicht aus reinem königlichen Geblüt.
Als der König starb, holte Olava die Krone, damit sie die Wahl treffen konnte.
Olava versuchte meinen Großvater auszuschalten, aber die Wahl verlief nach den alten Regeln, und er wurde König. Er war aber noch ein Kind, und unter den Edlen hatte Olava viele Freunde, die beschworen, der alte König habe sie zur Regentin bestimmt und ihr den Rat der Edlen zur Seite gestellt.
Solche Dinge geschehen immer wieder. Was aber vorher noch niemals geschehen war, passierte später, als mein Großvater alt genug war, um die Krone uneingeschränkt zu tragen und die ganze Macht zu übernehmen. Man brachte die Krone aus den Schatzgewölben, um ihn damit zu krönen, doch ehe sie wieder zurückgebracht werden konnte, verschwand sie.
Olava hatte etwas getan, was noch kein anderer gewagt hatte. Sie hatte die Krone gestohlen, um meinen Großvater darum zu betrügen. Aber die Kraft der Krone zerstörte sie, denn das tut sie immer, wenn einer nach ihr greift, dem sie nicht zusteht. Ehe sie starb, versuchte mein Großvater ihr das Geheimnis zu entlocken, aber sie lachte nur und erklärte, sie befinde sich in Och’s Versteck, das niemand entdecken könne. Ihre Familie würde alle Zugänge bewachen, und nur dann würde die Krone wieder auftauchen, wenn sie einen aus ihrer Familie akzeptierte.
Seit dieser Zeit war das Versteck der Krone in tiefstes Dunkel gehüllt. Wir wagten es nicht, den Verlust offen bekanntzugeben. Das Geheimnis konnte nur deshalb gewahrt bleiben, weil es nicht nötig war, einen neuen König zu wählen. Mein Vater kam auf einer Jagd in diesen Bergen hier ums Leben, aber er hatte keine Tiere gejagt, sondern Och’s Versteck gesucht. Zwei meiner Onkel starben ebenfalls in jungen Jahren. Der dritte verschwand. Und jetzt ist König Niklas sehr alt. Es liegt nun an mir, die Suche fortzusetzen. Wenn er stirbt, und ich kann nicht mit der Eiskrone vor das Volk von Reveny treten, um zu beweisen, daß sie mich zur Königin gewählt hat, dann stirbt meine Familie aus. Reveny wird dann wahrscheinlich von Leichstan oder Vordain überrannt, wo echte Kronenträger regieren. Ein Land ohne Krone ist ein Land ohne Namen und Ehre. So haben es ganz zu Anfang die Hüter bestimmt.«
»Hat schon jemals ein Land die Krone verloren?« fragte Roane.
Die Prinzessin zuckte zusammen. »In Arothner ist es einmal geschehen. Sie hatten eine Muschelkrone, denn das Land lag an der See. Diese Muschelkrone wurde bei einer Springflut zerstört. Die Folgen waren entsetzlich. Die Menschen wurden vom Wahnsinn befallen. Sie wandten sich gegen ihre Herren, ihre Freunde, ihre Familien, so daß alle Nationen an ihren Grenzen Armeen aufstellten, welche die Leute von Arothner nötigenfalls in ihr Land zurücktreiben
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