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Die Eisläuferin

Die Eisläuferin

Titel: Die Eisläuferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Münk
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hinausgehenden Aktivitäten erwarten. Die Aktenleser hatten zwar den Stift fallen gelassen, und der Rest der Runde war vorher schon ratlos ins schwarze Leder zurückgesunken. Doch niemand |96| sagte etwas, nicht etwa aus Verblüffung oder Schockstarre, sondern weil anscheinend niemandem etwas Besseres einfiel und das alles wohl nichts Neues war.
    Sie kam sich ein wenig gestrig vor. Dabei war sie noch gar nicht bei den Inhalten angelangt. Aber vielleicht ging es auch gar nicht um die Inhalte   – Hundertschaften von Ministerialbeamten, Staatssekretären und Referenten waren schließlich schon damit befasst, die hatten vermutlich mehr Inhalte, als ihnen lieb war   –, sondern vielmehr um die Art und Weise der Vermittlung? Ging es womöglich eher um das Wie als um das Was? Das wäre ihr in ihrer jetzigen Situation ja sehr entgegengekommen. Sie beschloss daher spontan, gar nicht mehr in Einzelheiten zu gehen, die sie sowieso nicht erinnerte. »Nun, meine Damen und Herren, ich würde gerne einige Ihrer grundsätzlichen Vorschläge für unser Konjunkturpaket hören wollen. Gehen wir das alles doch einmal ganz neu und unvoreingenommen an. Input bitte. Die besten Vorschläge übernehme ich mit Hinweis auf die Quelle.«
    Allgemeines Gelächter nun doch. Von hinten links die Wortmeldung eines Herrn: »Vorschläge? An welchen Ausschuss soll ich die geben?« Vorne rechts ein Herr, betont langsam und souverän: »Nehmen Sie es mir nicht persönlich, werte Kollegin, aber so kommen wir nicht weiter.«
    Sie hielt inne und zog den Keksteller weg, noch bevor der Kollege mit gravitätischen Bewegungen danach greifen konnte, hieb mit der Faust auf den Tisch, donnerte los: »Nicht persönlich nehmen? Was soll das, verdammt noch mal? Natürlich nehme ich das persönlich! Es nicht persönlich zu nehmen würde heißen, es in einen Kontext zu stellen, aber der kann morgen schon wieder weg sein. So viel Zeit haben wir nicht!« Sie löste die Faust wieder und schob die Hand vom Tisch. Wenn hier jede Diskussion |97| gleich Streit war, dann musste es eben Streit sein. Der blieb vielleicht auch besser im Gedächtnis.
    Erneutes Schweigen, auch der Herr vorne rechts gab Ruhe. Man bemühte sich um Input. Nicht alles wurde in die Runde geworfen, sondern eher per Smartphone abgesetzt oder höchstens mit dem direkten Nachbarn erörtert. Es wurde viel von Verantwortung gesprochen, und man schien es in der Hoffnung zu tun, diese nicht auch noch tragen zu müssen, wenn man sie nur oft genug erwähnte. Ja, es gab überhaupt eine gewisse Neigung, über wichtige Themen nicht mehr mit der notwendigen Ernsthaftigkeit zu diskutieren. Es klapperte, zischte und quirlte.
    Im allgemeinen Stimmengewirr setzte sich unüberhörbar eine einzelne Stimme durch, der dazugehörige Herr wollte wohl auch etwas sagen. Sie hörte »nach Dänemark reisen« und war sich nicht ganz sicher. Er war nicht gerade der Typ Hotelzimmervernichter, fand sie. Sehr durchschnittlich, Dänemark hätte gepasst. Sie fragte nach: »Nun, was wollen Sie denn in Dänemark umsetzen?« Sie lächelte ihm aufmunternd zu, denn zumindest konnte man nicht sagen, dass dieses Vorhaben in irgendeiner Weise Schaden anrichten konnte, unkonkret oder fantasielos war.
    Der Kollege blickte ihr in die Augen: »Der Zoll! Und ich möchte mich um die dänische Minderheit in Südschleswig kümmern, mit guter, sachlicher Leistung. Auch und eben gerade für unsere Bürgerinnen und Bürger.«
    Sie neigte sich zum MAV rechts von ihr hinüber: »Wie lange ist der schon im Amt?«
    »Oh, circa zwei Jahre.«
    »Ach. Und sein Hippocampus?«
    »Intakt, völlig intakt, befürchte ich.«
    Es kam wieder gelassener Protest von vorne rechts: »Werter Herr Kollege, die deutsch-dänischen Beziehungen |98| in Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft sind eng und entwickeln sich in breiten Bereichen ohne staatliche Einflussnahme. Malaria-Medikamente können Sie auch mit anderen Reisezielen umgehen.«
    Ihr Nachbar reagierte nun doch etwas angefasst: »Mein Arbeitsplatz ist die Welt. Ich hab’s mir auch nicht ausgesucht, das können Sie mir glauben!«
    Im Anschluss entbrannte ein heftiger Streit darüber, ob die Partei oder die Welt wichtiger sei, und es kam erstaunlicherweise niemand auf die Idee, dass das eine das andere nicht ausschloss. Während man also stritt und schlecht übereinander redete, war man gleichzeitig entsetzt darüber und konnte sich beim besten Willen nicht erklären, warum so schlecht übereinander geredet wurde.
    Sie

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