Die Eisläuferin
den Tisch. Alle waren aufgestanden.
»Was mache ich da um Himmels willen?«
»Sie rühren eine Mehlschwitze an.«
»Und der Mann da im Vordergrund, der den Teig ausrollt?«
|91| »Das ist Ihr gestriger Staatsgast.«
Sie zeigte auf das Nudelholz. »Warum macht der so etwas?«
»Nun, er wollte in der Küche eine möglichst flächendeckende Aufgabe wahrnehmen. Da haben wir ihm einfach das Teil da in die Hand gedrückt. Sie hatten viel Spaß miteinander. Und es war Ihre Idee!«
Sie roch an ihren Fingerkuppen. Knoblauch! Wenn man ganz genau hinroch, war da ein Rest von Knoblauch. Sie stand da und roch weiter, versuchte, einen Hauch Erinnerung zu erhaschen. Es funktionierte nicht, die Begeisterung blieb aus, sie ließ die Arme wieder sinken: »Ach. So. Und was steht da über den Bildern?«
Sie merkte sehr wohl, dass man untereinander verstohlene Blicke austauschte. Sie hätten ihr jetzt alles sagen können, das wusste sie. So sah komplette Auslieferug aus, aber sie durfte sich nichts anmerken lassen. Dies war ein Moment der Krise, aber sie hatte sich nun einmal vorgenommen, stärker denn je aus dieser hervorzugehen. Es war ein Experiment, nichts weiter als ein Experiment, und wenn sie es sich recht überlegte, war die ganze Politik ein einziges Experiment.
»Also, was steht denn da über den bunten Bildern? Sagen Se mal!«
Der MAV setzte seine Brille wieder auf und las vor: »Rezepte gegen die Krise« und »Die neue Pizza-Connection – sie rührt an, er rollt aus.«
Sie lächelte, war aber noch nicht vollends überzeugt: »Ja, aber das passt doch nicht zur Mehlschwitze, nicht war? Und Inhalte? Gab es denn gar keine Inhalte?«
Der Minister verlor jetzt doch langsam seine Contenance: »Nein, herrje, das tut doch alles nichts zur Sache. Ein paar Inhalte gab es vielleicht, soweit das möglich war, aber die |92| werden nachher sowieso nach Belieben fragmentiert und verdreht. Was zählt, sind diese wunderbaren Bilder. Und die Schlagzeilen! Wer liest schon das Kleingedruckte! Und endlich mal kein Besuch ›in guter Atmosphäre‹, ›geprägt von beiderseitigem Verständnis‹ in ›entspannter Umgebung‹. Nein. Sie haben jetzt einen richtigen Kumpel in der europäischen Außenpolitik. Wurde auch Zeit. Ich sage nur: Küchentisch. Nudelholz. So läuft das. Pizza!« Beim letzten Wort schien er ins Grübeln zu kommen. »Wenngleich, und das muss ich tatsächlich kritisch anmerken, die ›Pizza-Connection‹ als Begriff ja schon besetzt ist. Mir persönlich liegt daran, das auch einmal zu sagen. Und da wir gerade dabei sind: Ich hege die ernsthafte Befürchtung, dass das irgendwelche ausgebufften Politprofis der Journaille wieder zu einer Keimzelle schwarz-grüner Fantasien machen, wie früher.« Und jetzt schien auch er verschollene Ecken seiner Seele zu entdecken, er wollte sich nicht mehr beruhigen: »Und dann auch noch überall diese rote Tomatensoße im Bild, ein ›rotes Wunder‹! Die drucken ja heute alles in Farbe! Ich sage Ihnen, das sieht alles verdächtig links aus. Wir müssen vorsichtiger sein! Mit diesem Staatsgast war das wohl gerade noch so möglich. Aber was machen wir das nächste Mal? Und wie konnten Sie sie an diesem Abend einen gelben Blazer tragen lassen? Hat denn keiner an Jamaika gedacht?«
Sie schaute zum Globus, dann wieder zurück. Welche Farbspielchen waren hier in den letzten Jahren nur gespielt worden? Sie hatte gehofft, diese Zeiten hinter sich gelassen zu haben. Sicher, die politische Landschaft schien bunter geworden zu sein, aber das machte die Sache wohl auch nicht einfacher.
Es kam noch zu einem erbitterten Wortgefecht innerhalb der personell ohnehin schon spärlich besetzten Morgenrunde, |93| und man mochte sich nicht ausmalen, wie erst die Kabinettssitzung verlaufen würde.
Man hatte ihr gesagt, dass sich an diesem Tage die Kabinettsmitglieder trafen, weil es in der vorherigen Woche keine Sitzung gegeben hatte und es in der nächsten Woche keine geben werde. Und weil jetzt etwas entschieden werden müsse.
Als sie eintrat, saßen alle schon da, in der Tafelrunde, mit raumgreifend vor sich ausgebreiteten Dokumenten und beim jovialen gegenseitigen Einschenken diverser Getränke, bemüht um Heiterkeit und Kooperationsbereitschaft zumindest in Bewirtungsfragen. Locker, ganz locker, sich zurücklehnend und wippend im schwarzen Leder. Arme, die sich von hinten kollegial um Schultern legten, kaum ergraute Köpfe, die sich wie fürs Foto einander zuneigten. Auch sie neigte den Kopf
Weitere Kostenlose Bücher