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Die Eisläuferin

Die Eisläuferin

Titel: Die Eisläuferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Münk
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jetzt in die Hand und überlegte, wo er am besten und schnellsten geschmackvolle, reife Pfirsiche zum Reinbeißen auftreiben konnte.
    »Hören Sie noch zu?« Der MAV wurde langsam ungeduldig.
    »Ja, durchaus. Man kann nicht gleichzeitig zuhören und reden.«
    »Also, lachen Sie jetzt bitte nicht, ich meine es verdammt ernst.« Der Minister hatte die Stimme gesenkt, was eigentümlich anmutete, denn es machte keinen Unterschied. Die |121| sicherste Form der Kommunikation war immer noch, Dinge erst gar nicht zu sagen. Aber er sagte es: »Meine Schwägerin, studierte Soziologin, macht gerade eine Fortbildung zur Burnout-Therapeutin. Sie wissen schon, das volle Programm: Zeit- und Stressmangement, lösungsorientiertes Zentrieren und Dezentrieren, Konfliktmanagement, inneres Team, Führung in schwierigen Zeiten, Ressourcenfindung.«
    »Sie kennen sich da aber gut aus.«
    »Mitarbeiterführung, alles Mitarbeiterführung.«
    »Wir bleiben beim Russen.«
    »Nun, Sie sind zwar Ihr Ehemann, aber wenn man das Sorgerecht etwas umfassender auslegt, sind wir da nicht gänzlich außen vor, würde ich sagen.«
    »Sie ist immer noch mit mir und nicht mit Ihnen verheiratet.«
    »Herrje, was finden bloß alle an diesem Dimitrij? Die Frau, die ich hier habe, ist absolut wasserdicht, sehr down-to-earth, wenn Sie mich verstehen.«
    Vielleicht lag es ja an den Pfirsichen oder an diesem verdammten Wort auf dem Zettel, aber er hörte sich sagen: »Mit Verlaub, Herr Minister, aber lassen Sie den Russen seinen Job machen und machen Sie Ihren. Da spiele ich nicht mit.« Er legte auf, ohne eine Reaktion abzuwarten, und ging direkt zu Bett, um etwas Ruhe zu finden.
    Doch die LEIDENSCHAFT an und für sich, nachdem sie ihm so schwarz auf weiß präsentiert worden war auf diesem verdammten Zettel, ließ ihn nicht los, bereitete ihm schlaflose Nächte und machte ihrem Namen alle Ehre.
     
    Pfirsich. Es roch nach Pfirsich, schmeckte sogar danach im Mund. Sie schlug die Augen auf und sah auf die Uhr. Auf ihrem Nachttisch stand ein kleiner Schälteller nebst Pfirsichstein und Pfirsichhaut. Und noch während sie versuchte, |122| sich einen Reim darauf zu machen, musste sie an das tiefblaue Wasser des Baikalsees denken. Halt, nein, an zwei Seen, mit dem Ansatz eines Nasenrückens dazwischen? Denken war auch zu viel gesagt, es war vielmehr ein schnelles, kleines Streiflicht gewesen. Was um Himmels willen hatte das eine mit dem anderen zu tun? Sie musste wohl davon geträumt haben.
    Und dann hörte sie ihn, laut, viel zu laut um halb sieben Uhr morgens, noch in der Aufwachphase: hohe, sphärische Streicherklänge, die zu einem mächtigen Höhepunkt hin geradezu explodierten – Wagner oder vielmehr ›Lohengrin‹. Wunderbar. Aber nicht am frühen Morgen. Sie zog sich ihren Morgenmantel an und ging dorthin, von wo die Musik kam, nämlich zur Küche. Sie lehnte sich in den Türrahmen, konnte es sich nicht verkneifen und zitierte:
    »Nie sollst du mich befragen,
    noch Wissens Sorge tragen,
    woher ich kam der Fahrt,
    noch wie mein Nam’ und Art.
    Nur denke bitte an die Nachbarn.«
    Er fuhr herum und drehte den C D-Player etwas leiser.
»Du wilde Seherin, wie willst du doch geheimnisvoll den Geist mir neu berücken?
Guten Morgen, meine Liebe. Ach, Wagner kann man noch so oft hören, er geht einem doch immer wieder unter die Haut. Hat so was Neuroplastisches. Es tun sich ganze Welten auf, verborgene Leidenschaften, findest du nicht?«
    Nein, fand sie nicht. Nicht morgens um Viertel vor sieben. »Habe ich gestern Abend Pfirsiche im Bett gegessen?«
    »Wir sind früher sehr oft in die Oper gegangen, nicht wahr?«
    »Ja, das tun wir.«
    »Willst du noch einen Pfirsich? Ich habe gerade welche |123| vom Großmarkt geholt. Ich schäle dir einen.« Und schon war er aufgesprungen.
    »Auf nüchternen Magen?«
    »Warum nicht? Mach doch mal was anderes.« Er drehte Wagner wieder lauter.
    Was war hier los? Und in welcher Disposition befand sich bloß dieser Mann, der jetzt mit Hingabe die Pfirsichhaut aufritzte, dass es spritzte. Es war unheimlich. Und so ganz nebenbei fing er an zu erzählen, von einer Reise nach Sibirien, von den letzten zwanzig Jahren, von dem, was aus ihr geworden war, wie zufällig und mit einer Nonchalance, die nicht ganz angebracht war, wie sie fand. Ihr wurde schwindelig, als er zu Ende erzählt hatte.
    Ihr versagten die Beine, und sie aß den Pfirsich im Bett, während er das Notebook hochfuhr. Um halb neun kam der Fahrer. Sie riss die Autotür

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