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Die Eisläuferin

Die Eisläuferin

Titel: Die Eisläuferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Münk
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»Keine Ahnung. Keine Zeit? Früher Tod?«
    Ihr Mann steckte den Kopf zur Tür herein: »Sorry, aber die Zeit ist um. Du musst ins Amt.«
     
    Die regelmäßigen Joggingrunden mit dem Pressesprecher gaben dem Leben einen Hauch von Normalität, nach innen wie nach außen. Man blieb ständig in Bewegung. Und wem sonst sollte sich der MAV denn anvertrauen? Die Büroleiterin |162| arbeitete wie besessen und verließ das Amt kaum, hatte Arbeitszeiten, wie man sie nur aus indischen T-Shirt -Fabriken kannte. Man kam einfach nicht in Ruhe an sie heran.
    »Ich mache mir Sorgen, große Sorgen.« Er fand nur schwer in den Laufrhythmus.
    Der Regierungssprecher hatte bereits die ersten Pressespiegel überflogen und war wieder einmal bester Laune: »Was zählt, sind die Bilder, ihr Gesicht, wie sie was macht und nicht, was sie macht. Die Berichterstattung ist unwidersprochen positiv, und in den Umfragen standen wir nie besser da!«
    »Es sind ihre Umfragewerte, nicht unsere.«
    »Wo liegt denn da der Unterschied?« Er kam ins Schwärmen: »Hast du schon bemerkt, dass sie ihre Fingerspitzen gar nicht mehr zusammenführt? Dieses neue Element an ihr, dieses Echte, Unbeschwerte, Geschmeidige, kommt gut an.«
    Der MAV fühlte sich nicht abgeholt. »Na, du musst es ja wissen.«
    »Ich weiß gar nicht, worüber du dich aufregst. Wir müssen doch nichts an den Inhalten ändern oder gar am Grundsatzprogramm. Vergiss es! Es gibt schließlich kaum einen führenden Politiker, der nicht auch in einer anderen als seiner eigenen Partei führender Politiker sein könnte. Nein, nur die Art und Weise der Vermittlung, die Verpackung ändern wir. Ich sage nur NEUSTART! Ein Wort, ein einziges, klares Wort, rot auf schwarzem Grund und die erste Silbe in Gold.« Er war vorangelaufen, man verstand ihn kaum noch.
    Der MAV konnte so viel Optimismus kaum fassen: »Du hast es immer noch nicht verstanden.«
    »Charisma, endlich ein Hauch von Charisma!«
    »Ach, und die restlichen Kollegen sollen sich dafür entschuldigen, dass ihnen in Sibirien keine Bretter auf die Köpfe gefallen sind? Es geht doch um etwas ganz anderes!«
    |163| »Aha? Um was denn dann?«
    »Ist dir klar, was passiert, wenn die länger macht, als ursprünglich geplant, wenn die jetzt fern aller Inhalte eine strukturelle Debatte lostritt? Dann hast du deinen Neustart, und zwar deinen ganz persönlichen. Die zweite Liga wartet doch schon, die machen Druck! Das, was wir hier machen, sollte doch nur eine Notfallmaßnahme, eine Übergangslösung sein, mit ihr als Wegbereiterin. Und jetzt marschiert sie einfach durch.« Sein Blick ging in die Ferne. »Manchmal denke ich, sie ist wirklich ausgetauscht worden in der Klinik.«
    »Und die Opposition? Die gibt es ja auch noch. Vielleicht kommt sowieso alles ganz anders.«
    »Wahlausgang hin oder her, aber im Apparat würde ich schon gern bleiben.«
    »Ja, aber darum musst du dich schon selbst kümmern. Wir müssen schließlich alle den Übergang schaffen von der quantitativen Gläubigkeit hin zu einer qualitativen, für jeden zufriedenstellenden Zukunftsvorstellung.«
    »Verstehe ich nicht.«
    »Da kannst du mal sehen.« Der Regierungssprecher bog bereits jetzt Richtung Zielgerade ein und kürzte ab.
    »Und soll ich dir sagen, was der absolute GAU ist?« Es musste jetzt heraus, fand der MAV, die Zeit war knapp. »Die haben herausgefunden, dass sie mit ihrem Mann Economy von Moskau zurückgeflogen ist! Da hilft alles Charisma dieser Welt nicht mehr.
    Der Sprecher stoppte und trippelte auf der Stelle. »Wer macht denn so was?«
    »Na, sie! Sie macht so was! Und das wird erst der Anfang der Recherchen sein, die man so anstellen wird. Spürfüchse gibt es überall, sage ich dir. Überall. Das Eis ist verdammt dünn.«
    |164| »Nun bleib doch mal auf dem Boden. Sicher, die besten Geschichten schreibt das Leben, aber glücklicherweise sind wir ja in der Politik.«
     
    Dimitrij schien die Zeit zu vergessen, und das machte sie nervös.
    Er setzte sich wieder. »Kümmern Sie sich nicht um Buchstaben, sorgen Sie für Erlebnisse, denn hier liegt die Lösung. Der einzige Weg, der für Sie infrage kommt, führt über die Zukunft, nicht über die Vergangenheit. Ich weiß, das mag Ihnen wie ein Umweg erscheinen, aber einen anderen gibt es nicht.«
    Er war gut darin, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Gelangweilt hatte sie sich bereits mit vielen Menschen. Er war anders, hatte einen Zugang zu den Dingen, die man nicht auf den ersten Blick sah, war oft schon

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