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Die Eisläuferin

Die Eisläuferin

Titel: Die Eisläuferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Münk
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schon mal. In der Medizin nennt man so was traumabasierte Scheinwelt.«
    »Na, Sie kennen sich aber aus.«
    »Mitarbeiterführung, alles Mitarbeiterführung. Das einzige Problem wird ihr Mann sein.«
     
    Nichts als Unglauben auf ihrem Gesicht, apathisches Hinstarren, wie man es von Überlebenden einer Naturkatastrophe kannte. Erst als er seiner Frau die letzten Aufnahmen vom Tag der offenen Tür vorspielte, hellte sich ihre Miene etwas auf, schien sie den Menschen, der sie geworden war, auch ein wenig zu mögen. »Ist das offiziell, läuft das online?«
    |154| Er legte ihre Garderobe heraus, um zu vermeiden, dass sie an zwei aufeinanderfolgenden Tagen dasselbe anzog. Inzwischen war er dazu übergegangen, lediglich die Farben ihrer Blazer zu wechseln statt des kompletten Outfits. »Offiziell? Nein, ich befürchte nicht. Das würden die nie tun. Herr Bodega hat das heute Morgen mitgebracht, heimlich, als Kopie.«
    »Wer?«
    Er überging ihre Frage. »Wieso hast du ihm die CD mitgegeben gestern? Vertraust du mir nicht mehr?«
    Damit schien sie nicht gerechnet zu haben. Wie auch. »Ich weiß es doch nicht mehr! Herrje, vielleicht wollte ich sehen, ob ich mich an ihn erinnere.«
    »Ach, und bei mir reichen dir deine alten Erinnerungen?«
    »Das ist unfair, das weißt du genau. Ist er noch hier?« Bei der letzten Frage überschlug sich ihre Stimme fast, sie schien mit den Gedanken schneller zu sein als mit den Worten. »Hat er dunkelblonde Haare, eine runde Nase und eine Piloten-Sonnenbrille?«
    Er ließ die schwarze Hose vom Bügel rutschen, ahnte jetzt, welchen Unterschied alte und neue Erinnerungen ausmachten. »Ja! Liebes, die Erinnerung, sie kommt!«
    Sie konnte sich vor Freude kaum zurückhalten, spürte das langsame Kippen der Angst in Mut, hatte erstmals das Gefühl, Gestalterin ihrer eigenen Identität zu sein, und sagte: »Nun, bleiben wir gedämpft optimistisch. Ist er noch hier?«
    Ihr Mann war schon ins Wohnzimmer gestürmt und kam mit jemandem zurück, der es in Bruchstücken in ihren Hippocampus geschafft hatte.
    Und jetzt stand dieser Mensch vor ihr und bekam schon wieder feuchte Augen. Er war ihr vertraut, als teilte er nicht nur eine gemeinsame Erinnerung an den vorherigen Tag mit ihr, sondern ein Geheimnis, die Intensität eines Moments, |155| der ihr geblieben war. Dabei sah er doch so unauffällig aus. Er hätte ebenso gut Sockendesigner oder Schneeflockenforscher sein können, fand sie. Und das hatte etwas wundervoll Beruhigendes.
     
    Sie faltete ihre Frühstücksserviette drei Mal und strich mit der flachen Hand darüber. »Herr Bodega, ich danke Ihnen für diese CD.   Ich werde mir diese Aufnahmen ab jetzt jeden Morgen ansehen. Die Filme, in denen ich so kurze Haare habe, können Sie gleich wieder mitnehmen. Das falsche Erinnern ist der Feind des Denkens.«
    »Wie bitte?«
    »Wären diese Aufnahmen nicht auch für die Allgemeinheit interessant?«
    Herr Bodega knetete seine Hände, sah zu Boden. »Ich weiß nicht, was Sie hören wollen.«
    »Nun, ich möchte das hören, was Sie sagen wollen.«
    »Ich würde sagen, dass das nicht ganz ungefährlich ist.«
    »Ah, das hört sich gut an. Haben Sie Kinder, Herr Bodega?«
    »Wieso?«
    »Ja, herrje, warum hat man wohl Kinder? Sind die schon im netzfähigen Alter?«
    Ja, er hatte Kinder. Drei. Und drei PCs. In jedem Kinderzimmer einen. Flatrate.
    Sie war inzwischen ins Bad gegangen, hatte die Tür offen gelassen und versuchte, gegen den laufenden Föhn anzubrüllen. »Wie kriegt man das in die Kiste, sodass es alle sehen können?«
    »Sie haben eine Internetseite, Chefin.«
    »Ach die, die guckt wahrscheinlich niemand an außer mir. Aber was gibt’s da noch?«
    »Youtube?« Er köpfte sein Ei.
    |156| »Herr Bodega, Sie sollen antworten, nicht fragen. Ich weiß es doch nicht. Geben Sie die CD am besten Ihrem ältesten Sohn.«
    »Chefin, da komme ich in Teufels Küche.«
    »Nun, Herr Bodega, da sind wir doch schon längst. Aber so lange ich da bin, kommen Sie da auch wieder heraus. Wir machen nichts weiter als eine kleine Agitation, etwas Propaganda – sozusagen animierte Flugblätter!«
    Keine Antwort.
    Hatte sie etwas Falsches gesagt? »Haben Sie irgendetwas, Herr Bodega? Das ist doch eine wundervolle konspirative Idee, ein schöner Auftrag, völlig legitim.«
    »Kann ich das Licht anmachen? Es ist plötzlich so dunkel hier, und mir sind ein paar Eierschalen auf den Teppich gefallen.«
    »Aber selbstverständlich, machen Se nur. Und was ist

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