Die Eisläuferin
jetzt?«
Man hörte wieder eine Zeit lang nichts und dann: »Nun ja, sicher, Internet. Das Netz vergisst nichts. Aber gleich Youtube? Propaganda – ich weiß nicht. Können Sie damit niemand anderen beauftragen?«
Sie stellte den Föhn auf Stufe 1. »Aber warum denn? Mögen Sie mich nicht?«
»Doch, natürlich. Irgendwie sehr. Aber ich wähle Sie nicht.«
Sie überlegte kurz. »Ach, das ist nicht schlimm. Es kann mich ja schließlich nicht jeder wählen. Vielleicht will ich auch gar nicht wiedergewählt werden.«
»Das ist es nicht.«
»Herrje, nun sagen Se schon.« Männer konnten wahrlich um den heißen Brei herumreden.
»Also, ich wähle auch niemand anderen. Das ist mir alles zu politisch. Ich wähle gar nicht. Schon lange nicht mehr.«
|157| »Was, Sie gehen nicht wählen? Um Gottes willen!« Sie ließ den Föhn in die Wanne fallen, und aus dem Bad war kein Laut mehr zu vernehmen.
Herr Bodega nutzte die Gunst der Stunde, um durch die Wohnungstür zu verschwinden, die C D-Rom in der Innentasche seines Mantels.
Am darauffolgenden Montagmorgen stand schon wieder ein Mann vor der Tür. Dimitrij ging gleich ins Arbeitszimmer, und es war wie immer ein spannender Moment, zu sehen, wie sie auf ihn reagieren würde. Denn man konnte sich nie wirklich sicher sein, ob ihre Erinnerung an ihn schon so verlässlich und nachhaltig war. Bis jetzt hatte sich ihre Miene immer mit einem leichten, wiedererkennenden Lächeln aufgehellt, es war wie ein Gütesiegel, einerseits eine wundervolle Nachricht, andererseits doch ein wenig gewöhnungsbedürftig – zumindest für ihn, den Gatten. Er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass die Verteilung ihrer Aufmerksamkeit in solchen Momenten und in einem derart privaten Rahmen doch ein wenig unausgewogen war. Gemeinsame Erinnerungen von höherer Wertigkeit – wenn auch nicht neueren Datums – hatte er ja schließlich auch zu bieten.
Zur selben Zeit hatte der MAV die nachrichtendienstliche Lagebesprechung halbwegs unauffällig hinter sich gebracht. Ärgerlich fand er allerdings, dass sich einfach nichts finden ließ gegen diesen Dimitrij. Ja, das medizinische Personal der zu durchleuchtenden Klinik war offenbar absolut sauber, wenn es auch bei genauerer Betrachtung einen bemerkenswerten Kundenstamm pflegte, der höchste Regierungskreise ebenso wie den KGB selbst einschloss. Nun hatte das an sich noch nichts Beunruhigendes, auch in Russland herrschte |158| wohl freie Arztwahl für Privatpatienten. Aber waren diese Patienten wirklich so privat, wenn sie sich rein beruflich zufällig an der Spitze eines Landes befanden, und dieses Land zwischenstaatliche Beziehungen zum eigenen Land pflegte? War das alles Zufall? Der MAV war da sehr in Zweifel.
Zudem war ihm die Idee gekommen – und die hatte er bereits auch innerparteilich vorgebracht –, dass man dem Außenministerium unbedingt eine Ministerreise nach Russland vorschlagen solle, bei der es unter anderem auch um die Zusammenarbeit in der medizinischen Forschung gehen müsse. Somit würden sich recht schnell die nachrichtendienstlichen Ermittlungen mit eben jenem Besuch in der Klinik erklären. Eine sich direkt anschließende transatlantische Reise des Ministers, also in die entgegengesetzte Richtung, sei zudem aus diplomatischen Gründen dringend anzuraten. Diese würde zwar nicht unbedingt außenpolitische Vorteile bringen, aber Nachteile brachte sie wahrscheinlich auch keine. Weitere Nachfragen des Außenministers, insbesondere in Richtung des Coaches der Regierungschefin, würden sich somit vorerst erledigen. Und darauf kam es an. Man musste ihn beschäftigen, ihn vor sich selbst schützen. Doch bei all dem gab es noch etwas, das den MAV wirklich umtrieb, ihm schlaflose Nächte bereitete.
Dimitrj und sie hatten im Wohnzimmer Platz genommen und konnten kaum die Blicke voneinander lassen. Sie war um Fassung bemüht, schwelgte in der Wiedererkennung, in kostbaren, da noch ganz frischen Erinnerungen, und er stellte fest, dass sie einen kirschroten Blazer trug, etwas höher geschlossen, ohne T-Shirt darunter. Dazu eine kirschrote Hose.
Sie spitzte die Lippen: »Wissen Sie, das mit der abendlichen Podcast-Aufnahme war eine gute Idee von Ihnen. Sie |159| wissen schon, die, bei der ich von drei Dingen erzähle, die am Tag gut gelaufen sind, und von drei Dingen, die schlecht gelaufen sind, und dann erkläre, warum ich das so empfinde.«
Er wehrte ab. »Die Idee kam von Ihrem Mann, nicht von mir.«
»Oh,
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