Die Eisläuferin
gemeinsam unternehmen.« Er stach mit dem Messer in den Kuchen. »Und jetzt ist sie mit diesem Therapeuten unterwegs. Sicher, ich stecke ihr zuliebe auch mal zurück, und ich kann der Therapie im Ansatz und so allgemein auch durchaus positive Seiten abgewinnen, aber ich brauche meine Frau eben auch ein wenig. Sie kommt mir langsam abhanden.«
»Haben Sie Milch im Kühlschrank? Und soll ich die Teller richten?«
»Teller, ja sicher, Teller. Das ist sehr aufmerksam von Ihnen, Herr Bodega. Vielen Dank.« Der Kuchen war noch warm, aber er würde rasch abkühlen, wenn man ihn erst einmal gänzlich in Stücke geschnitten hatte. Er schnitt weiter. »Und wissen Sie was, Herr Bodega?«
|170| »Nein?« Herr Bodega sah sich nach einer kleinen Schüssel für die Schlagsahne um und wurde fündig.
»Ich weiß nicht, was ich tue, wenn dieser Dimitrij ihr jetzt auch noch eine dieser Schneekugeln kauft. Die gibt’s da nämlich. Steht im Internet.«
»Aber die hat dann vielleicht einen therapeutischen Wert – so als, wie soll ich sagen, Erinnerungsprothese?«
»Ich weiß nicht. Eigentlich komme ich mir selbst gerade so vor.«
»Wie in einer Schneekugel?«
»Nein, wie eine Erinnerungsprothese in einer Schneekugel.«
»Ach so.« Herr Bodega war froh. Das Reden half. Er nahm das Milchkännchen und tröpfelte in beide Kaffeetassen ein kleines Wölkchen. »Wissen Sie, ich mag Ihre Frau. Ich mag sie sehr. Sicher, sie lügt nicht, zieht nicht in den Krieg, lässt nicht foltern. Aber das meine ich gar nicht. Wie soll ich sagen? Mit ihr habe ich das Gefühl, dass ich zu etwas beitragen kann, das mir wichtig ist. Ich wollte sie immer ein bisschen netter machen, als man glaubte, dass sie sei – ganz einfach dadurch, dass ich selbst nett zu ihr bin. Und das hat mir eigentlich schon gereicht. Mehr will ich gar nicht tun.«
Er verstand Herrn Bodega und war doch mit seinen Gedanken ganz woanders. »Eigentlich hasse ich ihn, diesen Dimitrij, diesen Bewährungshelfer.«
»Aber für Ihre Frau ist er doch eine große Hilfe, nicht wahr?«
Da hatte er nicht unrecht. Das Ziel war durchaus in Ordnung, aber der Weg dahin ganz und gar nicht.
Herr Bodega blickte versonnen in seine Kaffeetasse, er hatte sich wohl irgendwann abgewöhnt, direkt in Gesichter zu schauen. Es ging auch so, und es machte ihn deswegen |171| nicht zu einem schlechteren Gesprächspartner. »Vielleicht nehmen wir uns einfach zu sehr zurück?«
»Durchaus. Wer denkt eigentlich an uns? Wie sollen wir, frage ich Sie, dieses Problem korrekt lösen, wenn wir dabei selbst eines bekommen?« Er schlug sich mit dem Messergriff auf die Brust. »Nehmen Sie mich: Haben Sie eine Ahnung, wie es sich anfühlt, wenn man jeden Morgen als Erstes gesagt bekommt, dass man alt aussieht? Das ist nicht einfach, auch für mich nicht, kann ich Ihnen sagen, wo sie selbst doch auch nicht so jung aussieht, wie sie denkt.«
»Da verstehe einer die Frauen.«
»Wollen Sie noch ein Stück? Also, ich finde sowieso, dass es diese ganze Diskussion um Frauen in Wirtschaft und Politik ja gar nicht gäbe, wenn es uns Männer nicht gäbe!«
Sie hatte zuletzt tatsächlich als kleines Mädchen auf dem Eis gestanden. Doch es ging noch erstaunlich gut, mit achtsamen Schritten, nicht hastig, einer nach dem anderen. Es funktionierte, und sie nahm an, dass dies an den fehlenden zwanzig Jahren lag. Eine andere Erklärung fand sie nicht. Sie lief einfach nur, überließ sich den Schritten, versuchte, die Bewegungen zu verlängern, behauptete sich auf dem Eis, bald mit leichtfüßigen und fast schon geschmeidig gesetzten Abfolgen, tat dies allein, wollte auch gar nicht gestützt werden. Und je länger sie lief, desto mehr Spaß bereitete es ihr, wobei sich die Gefahr, bei der kleinsten Unachtsamkeit im Bewegungsablauf zu stürzen, als durchaus ambitionsförderndes Element erwies. Sie glitt dahin, wurde schneller.
Und dann fiel er ihr ein. Es war einen Versuch wert, sie musste es tun, versuchte, den Bewegungsablauf vorher im Kopf abzurufen, machte eine halbe Drehung um die eigene Achse und glitt rückwärts über das Eis.
»Wann muss ich abspringen?«
|172| »Das müssen Sie irgendwie im Gefühl haben, befürchte ich.« Dimitrij hatte vorsichtig eine zweite Runde an der Bande entlang gedreht, dieses Mal ohne Stürze. Er hielt sich jetzt erst einmal daran fest und starrte auf den im Fahrtwind flatternden Blazer.
Sie rauschte mit einem leichten, lautlosen Luftzug an ihm vorbei. Und dann versuchte sie es
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