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Die Eisläuferin

Die Eisläuferin

Titel: Die Eisläuferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Münk
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zwickte bei jeder Bewegung der Motorradhelm im Nacken. Sie hielt sich dann doch einfach nur fest, hinten am Soziusgriff.
    Also gut. Das Leben war wie immer ein Wagnis, und dies war schließlich nicht Afghanistan. Wenn es der Weg war, ihr Gedächtnis wiederzufinden, diente das wohl zudem einem höheren Zweck, war im Grunde eine Staatsangelegenheit, auch wenn es weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick danach aussah.
    Nach einer Weile hätte sie da hinten auf dem Motorrad immer so weiterfahren können, steckte die Nase in den Fahrtwind und schloss die Augen, wenn auch nur ganz kurz. Was hätte sie auch sonst tun sollen? Ein Schauer lief ihr über den Rücken, und sie konnte noch nicht einmal sagen, dass sich das schlecht anfühlte. Bei genauerer Betrachtung der Lage konnte man gar zu dem Schluss kommen, dass man sich auf diesem Sozius schon ein wenig bedeutsam fühlte, ohne dass man bedeutsam sein musste. Und das war ein nicht zu vernachlässigender Unterschied.
     
    Die Halle mutete trotz all der Scheinwerfer unter der Decke gespenstisch an. Sie hatten einen Hintereingang benutzt und gingen nun langsam an den Tribünen vorbei Richtung Eisfläche. Sie war wunderschön, eine große Kristallkugel hing von der Decke, und die Scheinwerfer reflektierten jede ihrer Bewegungen mit einem beachtlichen Farbspektrum aufs Eis – eine gigantische Projektionsfläche, die vor allem eines war: verdammt glatt.
    Sie verlangsamte dann doch ihr Schritttempo und blieb schließlich kurz vor der kleinen Zugangspforte stehen, schüttelte den Kopf: »Hören Sie, das ist verantwortungslos. Ich riskiere hier einen Ausfall. Es stehen Haushaltsgespräche, |168| Klausurtagungen, Staatsbesuche an, sagt man. Weißrussland, Südostasien. Das geht nicht.« Sie versuchte, möglichst entschlossen zu gucken, was ihr nicht ganz gelang, denn ihr Begleiter hatte sich bereits hingesetzt und war dabei, eines der bereitgestellten Schlittschuhpaare anzuziehen. Er schien gar nicht zuzuhören.
    »Geht nicht, gibt’s nicht. Kommen Sie, eigentlich sind Sie doch schon seit Jahren auf dem Eis. Was macht das jetzt noch für einen Unterschied?«
    Sie schaute ihn von der Seite an. Er erwies sich als äußerst ungeschickt beim Schnüren der Schuhe, schien das tatsächlich zum ersten Mal zu machen, was ein wenig im Gegensatz zu seiner sonstigen Selbstsicherheit stand, fand sie.
    Aber dann erhob er sich langsam, und die Baikalseen glitzerten: »Sie müssen nur ein wenig an den Figuren arbeiten.«
    »Sie kennen meine Figuren nicht.«
    »Wussten Sie übrigens, dass Frauen bis zum Anfang des letzten Jahrhunderts der Eiskunstlauf untersagt war, aus medizinischen und natürlich sozialen Gründen?«
    »Ich kann das nicht.«
    »Ja, aber das macht es doch so reizvoll, seien Sie ehrlich. Sie können alles, wenn Sie wollen. Es sind nicht Ihre Füße, es ist Ihr Kopf.«
    Er kam zu ihr herüber, setzte sie auf die Bank, nahm ihr den Helm aus der Hand und zog ihr die Schuhe aus, um sie anschließend aufs Glatteis zu führen.
     
    Herr Bodega kam wie gerufen, fand er. Er hätte seinen Obstkuchen jetzt wirklich mit jedem geteilt – nur nicht allein sein mit all den Gedanken und, was sich noch schlimmer ausnahm, mit den Gefühlen, die in ihm tobten, seit seine Frau die Wohnung auf dem Motorrad verlassen hatte. Er nahm ihm die Jacke ab und führte ihn in die Küche. »Mögen |169| Sie ein Stück? Habe ich gerade erst gebacken, irgendwo muss man ja hin mit all den Pfirsichen.« Er lächelte.
    Herr Bodega setzte sich gleich an den Küchentisch und schob die Kopie der C D-Rom vom Tag der offenen Tür über die Tischplatte: »Wir haben das jetzt online gestellt, aber mehr möchte ich da wirklich nicht tun.« Es schien ihm großes Unbehagen zu bereiten. »Wissen Sie, mich überfordert das alles etwas, ich meine, menschlich. Und wenn das jetzt auch noch politisch wird, weiß ich nicht, wie lange ich das alles noch mitmachen kann.«
    Ihr Mann nahm die Topflappen und setzte den Kuchen im noch heißen Blech behutsam auf den Tisch. »Tja, meine Frau ist nun mal nicht ohne Politik zu haben. Aber Sie sprechen mir aus der Seele, Mann. Manchmal kommt sie mir vor wie ein alter Kassettenrekorder, bei dem jemand die Fast-Forward-Taste gedrückt hat. Wissen Sie, was ich meine?«
    Er griff sich ein Messer aus der Küchenschublade und fuhr fort, ohne eine Antwort abzuwarten: »Sie hört auf mich, wissen Sie, aber ich kann viel sagen, wenn sie nicht mitmacht und wenn wir nicht bestimmte Dinge auch

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