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Die Eisläuferin

Die Eisläuferin

Titel: Die Eisläuferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Münk
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Wissenschaftsrat in diese Moskauer Klinik planen. Ich überlege sowieso, ob wir das nicht auch tatsächlich tun sollten.«
    Nach Abstimmung des Wordings verließ der MAV als Erster den Raum, um »taktische Manövriermasse aufzubauen«, wie er sagte. Es war auch völlig in Ordnung, die Morgenlage an dieser Stelle zu beenden, da man momentan nicht mehr anplanen konnte gegen die Entwicklungen, die sich draußen vor der Tür wie im Zeitraffer vollzogen.
    Sie jedoch blieb sitzen, war wie paralysiert, auch weil ihr mittlerweile ein Verdacht gekommen war, der schwerer wog als alles andere: Ihre Videoaufnahme vom Vorabend, die hatte sie doch am Morgen gesehen, und sie spielte sie jetzt gedanklich immer und immer wieder durch, denn die Motorradfahrt und die rote Ampel hätte sie doch auf jeden Fall darin erwähnt. Aber das hatte sie nicht, zumindest nicht auf der Aufnahme, die sie gesehen hatte. Es war offensichtlich herausgeschnitten, weggenommen worden. Einfach so. Und ihr Mann war der Einzige gewesen, der in die Nähe des Videogeräts gekommen war.
     
    Der Regierungssprecher und die Büroleiterin saßen immer noch da, schauten sich schweigend an. Sie erhob sich langsam: »Gut, ich werde sagen, dass ich von nichts weiß, auch wenn ich das nicht für richtig halte.« Sie hoffte inständig, all das am nächsten Tag vergessen zu haben, aber sicher war sie sich da nicht mehr. Nein, sie glaubte inzwischen sogar, das Auswahlverfahren ihres Hippocampus halbwegs verlässlich |205| zu durchschauen. Und diese Bilder aus der Zeitung waren drin im Kopf und würden dort auch bleiben, wenn sich ihre Theorie als richtig erwies – wohingegen man ihr das Leugnen wohl neu würde erklären müssen.
    Sie wollte fürs Erste nur noch raus aus diesem Amt, raus aus ihrem Leben, nahm ihre Tasche und stellte sie doch fast im selben Augenblick wieder auf den Tisch. Nur eines wollte sie noch wissen: »Warum spielen Sie dieses Spiel?«
    Der Regierungssprecher ließ die Papiere, die er gerade eingesammelt hatte, wieder auf den Tisch fallen. »Welches meinen Sie?« Er schien ganz offensichtlich mehrere Spiele zu spielen.
    »Kommen Sie, Sie wissen genau, wovon ich spreche. Man kann nicht gerade behaupten, dass ich mit meiner Amnesie noch prädestiniert wäre für dieses Amt, nicht wahr? Also wieso noch?«
    »Nun, vielleicht sind Sie gerade deswegen prädestiniert? Sie haben es in der Hand.«
    Das war die denkbar einfachste Antwort. Und genau die wollte sie nicht hören. »Ich will’s von Ihnen hören, herrje, es sind doch weder Kameras noch Wanzen hier!«
    Der Regierungssprecher sah zur Büroleiterin hinüber, die mit verschränkten Armen an der Fensterbank stand und seine fragenden Blicke zu genießen schien. Er wusste mit Sicherheit, was sie dachte: Sollte er nur machen. Hierfür wurde er schließlich auch bezahlt, und zwar besser als sie. Sie war ein empfindsamer Geist.
    Also begann er: »Nun, wir sind noch nicht so weit. Wir müssen vorerst noch ein wenig improvisieren. Ich denke jedoch, dass wir bei all dem voll flexibel bleiben und innerhalb des Ablaufmanagements binnen kürzester Zeit komplett gegensteuern können.«
     
    |206| Das hatte gereicht. Der Überdruck in ihr gab nach, und sie knallte die Tür hinter sich zu, versuchte, allein den Weg zum Aufzug zu finden. Und dann abwärts, nur noch abwärts. Es tat weh. Er hätte ja auch einfach sagen können: »Wir wollen, dass Sie wieder gesund werden.« Sicher, man musste sie nicht gleich in den Arm nehmen und ihr eine Flasche Traubensaft schenken, aber ein wenig mehr ehrliches Entgegenkommen hätte sie schon erwartet. Die Büroleiterin war ihr hinterhergelaufen und holte sie vor den Aufzügen ein. »Entschuldigung, aber Sie können nicht einfach so gehen.«
    »Es werden doch sicherlich nur interne Termine anstehen?« Die Presseerklärung würde wahrscheinlich schon im Netz hängen, und unter diesen Umständen sah sie sich völlig außerstande, der Öffentlichkeit unter die Augen zu treten.
    »Intern?« Die Büroleiterin konnte mit diesem Begriff nichts anfangen. »Nein, es gibt einen offiziellen Termin in circa zwanzig Minuten. Sie müssen die neue Zwei-Euro-Sondermünze präsentieren, mit dem Ministerpräsidenten und Wirtschaftsvertretern des Bundeslandes, das diese in diesem Jahr herausgibt. Kurzes Grußwort, Fototermin und Abgang.«
    Am liebsten hätte sie jetzt nicht nur ihre Erinnerung, sondern auch ihren Verstand einmal völlig abgeschaltet. »Ist das Ihr Ernst?«
    Ja, es war ihr Ernst. Was

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