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Die Eisläuferin

Die Eisläuferin

Titel: Die Eisläuferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Münk
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sonst? Schließlich war sie Regierungschefin, und von nichts kam nichts. Man konnte schließlich nicht einfach einen Stuhl nehmen und sich ins Leben setzen. Und dennoch war es schrecklich. Weiter hinten auf dem Flur kam bereits eine Dame herangeeilt, mit Schminkutensilien, Fusselrolle und einer grobdrahtigen Haarbürste.
    Die Büroleiterin versuchte zu beruhigen: »Wir fahren doch schon das reduzierte Programm, und Sie werden gar nichts zu den letzten Meldungen sagen müssen.«
    |207| »Aber es steht mir doch ins Gesicht geschrieben! Ich bin kein Mann. Bei mir kommt es doch aus jeder Pore, mit jeder verdammten Hitzewelle. Hören Sie, können oder wollen Sie mich nicht verstehen?«
    »Es ist nur gebriefte Fachpresse dabei. Die Auswahl der Wirtschaftsvertreter erfolgte nach folgenden Ausschlusskriterien«, und hier senkte sie den Blick, nahm ein Blatt Papier zur Hand und las: »Keine Energie, keine Banker, keine subventionierte Agrarwirtschaft mit Massentierhaltung, auch keine subventionierenden Finanzdienstleister, keine Unternehmen der Textilbranche mit Fertigungsorten im Ausland, Damen- und Herren-Wäschehersteller generell nicht.« Zumindest lächelte sie, als sie endlich aufhörte.
    Seit der Amnesie hatte sie das Gefühl, dass sie ihre Umgebung noch seismographischer wahrnahm als früher. Und hier war noch etwas, das nicht stimmte, irgendein Puzzleteil, das man ihr genauso vorenthielt wie die Motorradfahrt. Sie wandte sich an die Büroleiterin, noch bevor die Haarbürste von hinten aufsetzte: »Wo ist eigentlich Dimitrij?« Aber dann kam das Haarspray, und sie musste sich die Augen zuhalten.

|208| Volles Risiko
    Es war bereits früher Nachmittag, der MAV würde um vierzehn Uhr anrufen lassen, und ihr Mann hatte kurz vorher das Büro verlassen, um den Anruf pünktlich zu Hause entgegennehmen zu können. Die Fremdsteuerung nahm langsam die Ausmaße an, die auch seiner Frau zugemutet wurden, fand er, obwohl er durchaus zustimmen musste, dass eine Klärung der Lage dringend erforderlich schien. Selbst im Büro hatten überall Tageszeitungen mit seiner über das Eis gleitenden Gattin gelegen, es war schon ein wenig peinlich gewesen. »So schlecht läuft sie doch gar nicht!« Ein Kollege hatte ihm anerkennend auf die Schulter geklopft. Er hatte versucht, zu erklären, aber man hatte keine Erklärung hören wollen, sich lediglich an den Fotos erfreut, sich darin wohlig vertieft und die Überraschung als das genommen, was sie war. Und wer liebte keine Überraschungen, wenn man ehrlich war?
    Dimitrij war an diesem Vormittag tatsächlich nicht mehr gekommen, und das hatte ihn stutzig gemacht. Gerade in der Nachbearbeitung des vorangegangenen Tages hätte seine Frau ihn doch umso mehr gebraucht. Sie war kurz davor, ihren Hippocampus zurückzuerobern, und man durfte den Versuch jetzt nicht einfach abbrechen.
    Er war also auf dem Heimweg noch zum Mietshaus gefahren, zu dem er ihn bereits mehrmals vorher verfolgt |209| hatte, um sich Gewissheit über seine Vertrauenswürdigkeit zu verschaffen. Manche Dinge funktionierten eben besser, wenn man sich ihnen im Ausschlussverfahren näherte. Misstrauisch war er deswegen noch lange nicht, fand er. Doch an diesem Vormittag hatte kein Name mehr auf dem Klingelschild gestanden. Er sei ausgezogen, war der Nachbarin zu entlocken gewesen. Sie hatte auf einen gelben Kleinwagen auf der anderen Straßenseite gezeigt. Nur seine Freundin, die Journalistin, die sei noch da.
    Als das Telefon klingelte, ließ er den MAV nicht zu Wort kommen: »Haben Sie schon mit Dimitrij gesprochen, ihn jetzt tatsächlich abgezogen?«
    Der MAV musste zugeben, dass man bei all dem Bemühen, Presse und Opposition in Schach zu halten, nun wirklich noch nicht daran gedacht habe, es jedoch für die nächsten Stunden plane.
    »Nun, da ist Ihnen die Realität zuvorgekommen, befürchte ich. Er ist verschwunden, weggezogen. Und ich befürchte, er hat gemeinsame Sache mit der Presse gemacht.«
    »Was? Ich hab’s ja gleich gesagt.« In die Stimme des MAV kam ein leicht triumphierender Unterton. »Hören Sie, Sie erzählen niemandem etwas. Wir kümmern uns darum. Da müssen wir jetzt schnell ran.«
    Er fragte sich, was an dieser Ansage neu sein mochte. Sie kam eigentlich immer, ohne dass sich jedoch irgendetwas geändert hätte. Es klopfte in der Leitung. Jemand schien zu versuchen, ihn zu erreichen.
     
    Sie hatte lange überlegt, ob sie ihren Mann anrufen sollte. Das hatte sie wahrscheinlich bisher nur selten vom Amt aus

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