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Die Eisläuferin

Die Eisläuferin

Titel: Die Eisläuferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Münk
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dieselbe wie beim Schlittschuhlaufen. Das fällt doch auf.«
    »Herrje, wer trägt nicht alles schwarze Hosen?«
    Sie zögerte. »Das sehe ich grundsätzlich anders. Das Delikt an sich ist doch weniger gefährlich als das Leugnen. Wir reden hier ja nicht von einer Parteispendenaffäre oder Ähnlichem, meine Herren. Ich nehme daher an, wir haben in diesem Fall weniger ein Transparenz-, als vielmehr ein Kommunikationsproblem. Kommen Sie, man muss es den Leuten nur erklären.«
    Man schwieg. Das mit dem Erklären schien man für keine so gute Idee zu halten.
    Vielleicht ahnte man auch, dass Amnesie und Spendenaffäre in ihrer ganzen Tragik ja nun so weit nicht auseinander lagen.
    Sie hing in der Luft. War es jetzt egoistisch von ihr, auf der Wahrheit zu bestehen, nur weil sie sich persönlich damit besser fühlte? Dabei wollte sie doch nur ordentlich arbeiten.
    Als sie in die Runde schaute, mochte so recht niemand anfangen zu reden, man schien auf weitere Ausführungen ihrerseits zu hoffen. Es war wie beim Staatsbankett: Solange sie den Suppenlöffel noch nicht auf dem Teller abgelegt hatte, wagte sich niemand an den zweiten Gang, auch wenn die Mägen knurrten, was das Zeug hielt.
    Und tatsächlich, ihr fiel ein, dass noch ein kleiner Baustein zur Beurteilung der Lage fehlte: »Was steht denn unter den Bildern?«
    O sicher, man entschuldigte sich, las ihr vor: »Heimischer Blauhelm-Einsatz   – Regierungschefin mit Motorrad in Polizeikontrolle geraten« – »Wie lange wird sie Rot noch so hinter sich lassen?« – »Immerhin auf der Straße schnell.«
    Sie unterbrach: »Steht denn nirgendwo mehr etwas zum Tag der offenen Tür und zu diesem Internet-Film?«
    |200| Man tauschte blitzschnelle Blicke aus: »Woher wissen Sie   …«
    Doch sie zeigte schon auf eine andere Schlagzeile. »Und hier?«
    »Bundespräsidentengattin bewundert Wickelkleider aus Malawi.«
    »Ach so, das bin ich nicht.«
    »Nein, bei Ihnen steht: »Die reinste Schlitterpartie« und »Wer ist dieser Mann?«
    »Können Sie mir den Text mit der Schlitterpartie ganz vorlesen?«
    Man tat ihr den Gefallen. Der Artikel war viel zu kurz und nicht gut, gar nicht gut.
    »Das bin ich nicht.«
    Der Regierungssprecher strich sich die Haare nach hinten und lehnte sich nach vorn: »Mit Verlaub, aber das sind Sie. Dass die mediale Öffentlichkeit etwas aus Ihnen macht, das Sie nicht sind, das kann Ihnen doch nicht neu sein? Das muss doch vor zwanzig Jahren auch schon so gewesen sein. Nur dass Sie heute schneller durchgenudelt werden. Wir können jetzt nicht mehr alles umkrempeln, dafür ist es zu spät.« Er versuchte zu lächeln. »Wir können Ihr Image nur noch pflegen, nicht mehr ändern. Sie sind fertig. Verstehen Sie nun, was wir meinen?«
    Auf der Fensterbank hatte man eine Reihe von Blumensträußen aufgestellt. Sie sahen aus wie Genesungswünsche für eine Krankheit, von der niemand wusste. Einige Arrangements waren fürchterlich sperrig, ragten asymmetrisch in die Luft, nahmen Licht vom Fenster weg – eitle, sehr eitle Blumensträuße, fand sie, florale Selbstverwirklichungsversuche, die man ihr da zugedacht hatte. Sie näherte sich einem der Sträuße, nahm eine Lilie in die Hand, umschloss sie von unten mit der Handinnenfläche. Sie war noch ganz |201| frisch, blütenweiß, und die gelben Stempel leuchteten ihr entgegen. Sie führte die Finger zusammen, drückte zu, ganz langsam und ganz fest.
    Das Handy des MAV ging und schüttelte sich ein bisschen über den Tisch, es ertönte das walisische »Adiemus«, woraufhin er darauf zusprang, wie um die Melodie im Keim zu ersticken. Man schien ihm eine kurze Information durchzugeben, er nickte, ging auf den Fernseher zu: »Die Opposition auf 3.«
    Sie kam wieder an den Tisch, atmete tief ein, ahnte, was jetzt kommen würde. Neben dem Fernseher lag ein ganzer Stapel dieser runden Disketten, die auch ihr Mann morgens verwendet hatte, mit kleinen, sorgsam beschrifteten Schildchen auf den Plastikhüllen. Wahrscheinlich waren auch diese hier alle für sie bestimmt, es war ja ihr Büro. Wie es aussah, bestand ein nicht unerheblicher Teil des Tages aus einer einzigen Filmvorführung, um ihr die Hintergrundinformationen zu geben, die sie sich selbst nicht mehr abtrotzen konnte.
    Der Bildschirm öffnete sich wie im Kino, zwei breite Streifen gingen wie ein Vorhang zur Seite. Es würde immerhin nur die Opposition sein, dachte sie, es hätte schlimmer kommen können, denn ihr war bewusst, dass jeder über kurz oder lang

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