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Die Eisläuferin

Die Eisläuferin

Titel: Die Eisläuferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Münk
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zum Gegner werden konnte. Ein Treppenhaus kam ins Bild. Das sei »deren Parteizentrale«, sagte man ihr. Und nun lief da plötzlich ein Mann in die Aufnahme, der so tat, als wolle er gleich wieder herauslaufen, wie zufällig erwischt zwischen zwei Sitzungen. Es waren diese äußerst telegenen, beiläufigen Momente, in denen man in der Kürze der Zeit bereitwillig Rede und Antwort stand, sehr spontan und authentisch, obwohl jedes Wort saß. Was er denn vom neuen Stil der Regierungschefin halte, wurde er gefragt. Er schaute auf die Uhr, drehte sich wie zum Weitergehen schon wieder seitlich in die Kamera und ließ verlauten: » |202| Ach, Sie meinen das neue Regierungsprogramm, zu dem jetzt auch Schlittschuhlaufen und Motorradfahren jenseits aller Verkehrsregeln gehören?« Er lächelte.
    Sie kam näher an den Fernseher, und in Erwartung dessen, was jetzt noch kommen würde, verwandelte er sich langsam vor ihrem geistigen Auge, saß trommelnd hinter einem riesigen, kochenden, dampfenden Kessel, mit einem kleinen Knöchlein am Lederband im Ohr. Es war das klassische Ritual: Ja, er blickte wieder auf die Uhr und dann in die Kamera, schaute die Linse an wie seine beste Freundin, der man alles anvertrauen konnte: »Wissen Sie, ich möchte das eigentlich gar nicht weiter kommentieren. Doch die Ereignisse sind für mich Anlass, meine Sorgen erstmals öffentlich zu machen. Denn das, was hier getrieben wird, ist mehr als populistisch. Es ist so infantil und dermaßen irrational, dass man fast schon wieder vermuten könnte, es stecke System dahinter.«
    Er wollte gehen, lehnte sich im letzten Moment doch noch ins Bild: »Aber wissen Sie, was uns wirklich stutzig macht? Diese verdeckten Moskauflüge des engsten Führungskreises, die wir da gefunden haben, und natürlich auf Kosten des Steuerzahlers. Da werden wir auf Aufklärung drängen müssen. Ich weiß, was ich meine, glauben Sie mir.« Und dann offenbar zu dem Journalisten, der nicht mehr ins Bild passte: »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen.« Man sah ihn mit sportlichen Schritten die Treppe hoch laufen, als gehe er dynamisch neuen Aufgaben entgegen, und dann wurde ausgeblendet.
    »Der schleppt aber viel Verdrängtes mit sich herum.« Der Regierungssprecher sicherte sich die Fernbedienung.
     
    Es war wie eine Ohrfeige, die man schutzlos hinzunehmen hatte, ohne auch nur den Hauch einer Möglichkeit, überhaupt |203| zu kontern, zumindest im entscheidenden Augenblick nicht. Und es würde nicht sein letzter Versuch sein. Er würde nachtreten – nicht auf dem Schulhof in der Ecke, sondern öffentlich. Ja, sie fuhr Schlittschuh, und die Opposition machte daraus unter den Augen der Nation einen Werbespot in eigener Sache. So einfach machten sie es sich. Was wohl noch schwerer wog, waren die Moskauflüge des engsten Kreises. Es war grausam. Früher, vor all der Zeit, hatte sie so etwas mit großer Ruhe weggesteckt, doch jetzt tummelten sich Gefühle in ihr wie eine Grundschulklasse auf Ausflugsfahrt und legten einen riesigen wunden Punkt frei.
    Derjenige, der zuerst nachtrat, war der MAV: »Jetzt spricht der schon von System! Welches meint der? Weiß der was, das wir nicht wissen? Ich habe es ja gleich gesagt, ich habe es ja immer vermutet! Oh, Gott, Moskau. Die Flüge.«
    »Das wird niemand ernst nehmen, der stolpert erst einmal drauflos und lässt die Korken knallen, ohne vorher die Gläser geholt zu haben.« Der Regierungssprecher lehnte sich zurück, denn damit würde er fertig werden.
    Der MAV hingegen brauchte noch ein wenig Zeit, um seine Gedanken zu ordnen, denn er war schon wieder weiter als alle anderen. »Ist Ihnen bewusst, was Sie da mit der Regierung anrichten? Wenn Sie aufs Eis gehen und über Rot fahren, dann gehen wir doch mit Ihnen drauf! Das ist unverantwortlich. Was machen wir, wenn die nachforschen, wer Ihr Begleiter war?«
    Sie schwieg, musste ihm schließlich recht geben. Wahrscheinlich ließ sich so wirklich kein Staat machen. Es war erstaunlich: In noch nicht einmal einem halben Tag war ihrem Optimismus, ihrem vielleicht etwas gestrigen Kampfgeist komplett der Garaus gemacht worden. Wie hatte sie das bloß zwanzig Jahre lang durchgestanden?
    |204| »Wie rechtfertigen wir die Moskauflüge?« Die Büroleiterin sah hier eine ganz konkrete Problemlage, und der MAV pflichtete ihr bei: »Ja, das treibt mich auch um. Das regle ich mit dem Nachrichtendienst. Wir könnten ablenken, sagen, dass wir gemeinsam mit dem Außenministerium eine Reise mit dem

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