Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Eisläuferin

Die Eisläuferin

Titel: Die Eisläuferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Münk
Vom Netzwerk:
mal ein bisschen auf die Tube.«
    »Das ist schade.«
    »Hören Sie, Herr Bodega, niemand hindert Sie daran, Ihren Unmut zu äußern. Gehen Sie meinetwegen demonstrieren. So eine Demonstration ist eine der schönsten Einrichtungen unserer Demokratie. Aber lassen Sie mich um Himmels willen damit in Ruhe.«
    »Ich find’s toll, das mit dem Motorrad.«
    Sie glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Wie bitte? Der fand das jetzt auch noch gut? So, wie sie es gut gefunden hatte in jenem Moment? Sie spitzte die Lippen und warf ihm einen raschen Seitenblick zu. Von der Seite ließen sich die Leute oft besser durchschauen, denn nicht jeder bekam in seiner Selbstverliebtheit diese Blicke mit, fühlte sich weiter unbeobachtet, und wenn es doch auffiel, konnte man den Gegner vortrefflich und fast unbemerkt in die Enge treiben, behutsam, ganz behutsam. Die Mimik ließ sich von der Seite aus genauso gut interpretieren. Die Politik war frontal genug. Sie liebte Seitenblicke. Der Papst tat es schließlich auch.
    Herr Bodega schien diese Blicke zu kennen und ließ sich nicht beeindrucken: »Ich glaube, was ein Mensch wahrhaben möchte, hält er auch für wahr. Da hilft das beste Dementi nichts. Ich würde es wunderbar finden, wenn es wahr wäre.«
    »Hm.«
    Warum kannte sich ein Sicherheitsbeamter in radikalem |216| Konstruktivismus aus, fragte sie sich, während er fortfuhr: »Wissen Sie eigentlich, wie viele Male ›Das war mein Tag‹ inzwischen im Internet angeklickt wird?«
    »Nö, mir sagt ja keiner was.«
    Sie bemerkte, dass er sich jetzt plötzlich in Rage redete, konnte sich aber nicht dazu durchringen, ihn zu unterbrechen.
    »Wissen Sie, die Leute mögen die Wahrheit. Und es ist doch eigentlich ganz einfach: Wenn es jemanden gibt, der sich die Wahrheit leisten kann, dann doch Sie mit Ihrem schlechten Gedächtnis!« Er grinste gegen die Windschutzscheibe, und sie war sich auch ohne Seitenblick sicher, dass er jetzt jede Regung von ihr mitbekam.
    Ja, an die naheliegende Möglichkeit des Vergessens hatte sie auch schon gedacht. Doch da war eine Sache, die sie beschäftigte, zugleich antrieb und lähmte, die in ihr quer saß wie ein Kohlgericht nach Mitternacht: »Nun, Herr Bodega, das ist ein bemerkenswerter Gedanke, kühn und realistisch zugleich. Sehr schön. Aber da hätten wir noch die Verantwortung. Ich bin ja nicht irgendwer, auch wenn ich es manchmal, zwischendurch, für kurze Zeit gern wäre. Mein Amt ist schon ein anderer Maßstab, finden Sie nicht? Ich kann das unmöglich wagen. Und nun konzentrieren wir uns bitte auf die Fahrt.«
    »Sie meinen Ihren strukturellen Hintergrund?«
    »Nun lassen Sie bitte mein Elternhaus aus dem Spiel.«
    »Nein, ich meine die Politik!« Er hielt an.
    »Warum fahren Sie denn nicht?«
    »Es ist gerade Rot geworden.«
    »Ach, was. Es war doch noch Gelb! Da hätten Sie locker noch drübergepasst!«
    »Mit Verlaub, das wäre verantwortungslos gewesen.«
    1:0.   Sie schwieg, hielt es aber nicht lange aus, versuchte, |217| die Frageform zu umgehen, aber es gelang ihr nicht. »Was sollte ich denn Ihrer Ansicht nach tun?«
    »Sie sind ehrgeizig, nicht wahr?«
    »Herr Bodega, nun kommen Sie, Sie sollen antworten und nicht fragen. Wir sind hier doch nicht bei Robert Lembke   …«
    »Und Sie sind auch egoistisch.«
    Sie schnaubte, schaute auf die Uhr. Es war durchaus nicht dasselbe, die Wahrheit über sich zu wissen oder sie von anderen hören zu müssen.
    Er schien jetzt aufs Ganze zu gehen, der Seitenblick ließ Aufregung erkennen. »Ich glaube aber, dass Ihr Egoismus zugleich auch Ihre einzige Chance ist. Hier geht es doch um Ihre Gesundheit und damit um Sie selbst!«
    Sie lachte laut auf: »Ach, tatsächlich? Stellen Sie sich vor, an mich selbst hatte ich bei all dem noch gar nicht gedacht! Na toll, hören Sie, warum erzählen Sie mir das alles? Hat Sie auch irgendjemand bezahlt?« Sie bereute es in dem Moment, in dem sie es sagte.
    Er stoppte den Wagen vor der Haustür, zog den Schlüssel ab und sagte: »Ich möchte, dass Sie wieder gesund werden. Und meine Sonnenbrille, die schenke ich Ihnen. Die Sonne kann noch viel Kraft haben, und tief steht se auch.«
     
    Oben im Wohnungsflur stand der Verräter und Videocutter schon im Türrahmen. Sie lief schmollend an ihm vorbei und würde an diesem Abend sicherlich keinen einzigen seiner Pfirsiche essen. Nein, diese Schluckimpfung würde sie heute auslassen. Sie ging ins Bad, putzte sich wie eine Wahnsinnige die Zähne, wollte gar nicht mehr

Weitere Kostenlose Bücher