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Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Bonansinga
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diesem Abend nahm er sich nicht die Zeit für ein längeres Essen; er bediente sich nur gedankenverloren aus einem Karton mit Chop Suey, den Maura County ihm von einem Imbiss auf dem Campus mitgebracht hatte. Die Journalistin hatte sich im Laufe des Tages regelmäßig bei den beiden Männern gemeldet, sie ermuntert und gefragt, ob sie etwas brauchten. Auf unterschwellige – fast unmerkliche – Weise wuchs Groves Zuneigung zu der blonden jungen Frau. Sie hatten den gleichen Sinn für Humor, und seine Laune besserte sich, sobald er ihr Gesicht erblickte. Und er spürte, dass sie seine Zuneigung erwiderte. Maura schien sich um ihn zu sorgen. An diesem Abend erschien sie gegen neun Uhr an der Türe von Okudas Büro, stemmte die Hände in die Hüften und grinste schelmisch.
    «Meinen Sie nicht, dass es langsam Zeit wird, Feierabend zu machen?», fragte sie.
    Grove streckte sich und massierte seinen Nacken. «Keine schlechte Idee», sagte er. «Ich habe schon ganz müde Augen.»
    Sie erkundigte sich nach Okuda.
    «Der hat mich im Stich gelassen und ist nach Hause gefahren.»
    «Kommen Sie», sagte Maura. «Ich lade Sie zu einer Tasse Kaffee ein. Es gibt da etwas, das ich mit Ihnen besprechen möchte.»
    Beim Hinausgehen löschten sie das Licht und schlossen die Bürotür hinter sich ab.
    Sie fuhren mit Mauras Wagen zurück ins Motel. In der Lobby füllten sie zwei Plastikbecher aus der Kaffeemaschine und setzten sich in die Nähe des Fensters, von wo aus sie die Straße beobachten konnten. Die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Geländewagen schienen durch die Scheibe und flackerten über ihre Gesichter. Die schweren Reifen knirschten gedämpft im Schnee. Grove rieb sich die müden Augen. «Um ehrlich zu sein – ich weiß im Grunde nicht, was ich hier eigentlich tue», sagte er schließlich mit einem Seufzen.
    «Willkommen in meiner Welt», murmelte Maura.
    Er lächelte sie an. «Sie scheinen mir aber eine sehr liebe Person zu sein.»
    Sie lachte, und bei dem Klang ihrer Stimme – diesem, etwas albernen, heiseren Glucksen – überlief Grove ein wohliger Schauer. Er sah in Mauras blassblaue Augen; sie erwiderte seinen Blick und erregte damit Gefühle in ihm, die er nicht mehr empfunden hatte, seit seine Frau gestorben war. Das beunruhigte ihn. Er fühlte sich auf eine unerklärliche Weise zu dieser eigensinnigen jungen Frau hingezogen, so unbestreitbar und so heftig, dass er die Nähe seiner Frau noch mehr vermisste. «Man hat mir ja schon so manches nachgesagt», sagte Maura schließlich, «aber noch nie, dass ich übermäßig sachlich sei.»
    «Sie sagten, dass Sie etwas mit mir besprechen wollten.»
    «Ja, ich habe da eine Idee. Vielleicht ein neuer Ansatz in diesem Fall – falls Sie bereit sind, an die Öffentlichkeit zu gehen.»
    «Erzählen Sie.»
    «Womöglich ist es nur Zeitverschwendung. Ich weiß nicht. Aber ich habe eine Idee. Mit Ihrer Erlaubnis…»
    «Ich höre.»
    Sie zündete sich eine Zigarette an und ließ den blauen Dunst langsam zwischen ihren Lippen hindurch entweichen. «Um ehrlich zu sein – ich habe diese Idee von der FBI-Website.»
    «Keine falsche Scheu.»
    «Diese Datenbank, die FBI-Agenten nutzen… VICAF, oder wie sie heißt?»
    «VICAP», korrigierte sie Grove. «Das steht für Violent Criminal Apprehension Program, eine Datenbank, die alle Gewaltverbrechen erfasst.»
    «Ja, richtig, VICAP. Ich habe überlegt, warum man nicht eine ähnliche Datenbank für Vorgeschichte einrichtet.» Grove konnte ihren Gedanken nicht folgen. «Nun, ich meine, wir könnten eine E-Mail oder einen Brief an die wissenschaftliche Gemeinschaft senden.»
    «Wäre das denn so ohne weiteres möglich? Gibt es einen Verteiler, der alle Archäologen umfasst?»
    Maura zuckte die Achseln und zog wieder an der Zigarette. «Ich habe mich bei Michael Okuda erkundigt. Wir könnten seine Mailingliste benutzen; sie scheint recht umfangreich zu sein. Wir könnten die Archäologen in aller Welt befragen, ob ihnen Hinweise auf identische Morde in der Geschichte vorliegen.»
    Grove sah sie erstaunt an. «Was wollen Sie damit sagen?»
    «Es ist einfach Intuition. Vielleicht finden wir auch nichts. Ich habe nur gedacht, es wäre eventuell möglich, dass… Das wäre doch faszinierend, oder? Was meinen Sie?»
    Grove stand auf und durchmaß die leere Lobby. Der Empfangstresen war nicht besetzt; aus dem dahinterliegenden Büro drang gedämpft das leise Murmeln eines Fernsehers. Grove dachte an seinen gespenstischen Albtraum, der ihm

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