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Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Bonansinga
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ausgebuddelt.»
    «Äh… ja, eine lange Geschichte.»
    «Die würde ich mir liebend gerne anhören. Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen Gesellschaft leiste?»
    «Das wäre ausgezeichnet. Tom hat bereits erwähnt, dass er Sie von dem Fall des Heckenschützen in Baltimore abziehen würde.»
    «Ich stehe zu Ihrer Verfügung, Kumpel.»
    «Großartig.»
    «Ich werde versuchen, den Flug um neun Uhr vom Dulles Airport zu erwischen. Die Maschine wird ungefähr gegen ein Uhr Ihrer Zeit in Anchorage landen. Könnten Sie mich eventuell am Flughafen abholen?»
    «Natürlich. Geben Sie mir Ihre Flugnummer.»
    Grove notierte sich Zorns Angaben und wünschte ihm einen guten Flug.
    Nachdem er das Gespräch beendet hatte, verspürte er eine nervöse Spannung. Er hatte bereits einige Male mit Zorn zusammengearbeitet und respektierte die Fähigkeiten des Texaners. Doch der Mann hatte etwas an sich, das Grove störte. Vielleicht war es die subtile Verachtung, die unter der Oberfläche von Zorns ständigen Witzeleien durchschimmerte, oder es lag daran, dass in seinem Blick stets ein Funke von Feindseligkeit lag. Und Grove mochte seine Masche des texanischen Cowboy-Kumpels nicht. Zorn war derjenige, der in Quantico den Running Gag aufgebracht hatte, Grove sehe aus wie ein Mitglied der Nation Of Islam. Die beiden Männer hatten in Oregon am Fall des «Smiley-Face-Killers» zusammengearbeitet, und Zorn war ein kompetenter Partner gewesen, aber bei der Arbeit hatten Grove die ständigen Witze sehr gestört.
    War er vielleicht zu sensibel, wenn es um seine Person ging? Er fragte sich zuweilen, ob diese Empfindlichkeit nicht schon in seiner Jugend geprägt worden war.
    Ulysses Grove war an einem Ort aufgewachsen, in dem die verschiedensten Kulturen aufeinander prallten. Es war ein Ort der Heimatlosen, eine Arbeitergegend im Norden von Chicago. In den öffentlichen Schulen, die Grove besuchte, wurde Konformität höher geschätzt als Individualität. Sein Vater, George Grove aus Jamaika, war kurz vor Ulysses’ Geburt gestorben. Seine Mutter Vida weinte dem Tyrannen keine Träne nach, obwohl auch sie nicht gerade eine Vorzeigemutter war. Sie steckte ihren Sohn in bunte Kitenge-Überwürfe und Dashiki-Hemden und schickte ihn mit Stammesschmuck behängt in die Schule. Und wenn es einmal vorkam, dass einer von Ulysses’ Freunden ihn zu Hause besuchte, tischte Vida traditionelle kenianische Gerichte auf und ließ die Kinder die Speisen mit äthiopischem Injera, einem flachen, teigigen Brot, von den Tellern aufnehmen. Grove wurde gnadenlos gehänselt. Aber Vida war zu stolz, um sich den Gepflogenheiten der amerikanischen Kultur anzupassen, und ließ nicht davon ab, ihren Sohn nach ihren Vorstellungen zu kleiden und zu erziehen.
    Mit der Zeit lebten sich Ulysses und seine Mutter auseinander. Sie war heute über siebzig Jahre alt und wohnte immer noch allein in demselben bescheidenen Bungalow in Chicago, umgeben von ihren Kalebassen, bunten Perlen und Stammesamuletten. Grove hatte sie schon seit Jahren nicht mehr besucht. Er hatte sich in den späten siebziger Jahren von seiner Kindheit und seiner Familie verabschiedet, als er Chicago verließ, um an der University of Michigan zu studieren. Er passte sich schnell an die amerikanische Kultur an – zuerst in der Army und später an der FBI-Akademie – und je tiefer seine Assimilation griff, desto verbohrter erschienen ihm die ethnischen Vorstellungen seiner Mutter. Heute dachte er nur noch selten an seine Jahre in Chicago zurück.
     
     
    Grove klickte nervös durch die Stationen des Autoradios in seinem Mietwagen, während er zum Flughafen von Anchorage auf dem Highway 3 nach Süden fuhr. Die Sender spielten entweder kitschige Country 8c Western-Musik oder brachten nur dummes Geschwätz rechts gerichteter Moderatoren. Er schaltete das Radio aus und konzentrierte sich darauf, den Nissan Maxima durch die steilen Schluchten der Granitfelsen zu lenken, die für die Außenbezirke von Anchorage so typisch waren. Die Frühlingssonne hatte vor einigen Stunden die Wolken durchbrochen, und die frostige Landschaft schien nun förmlich aufzutauen. Auf dem Highway herrschte starker Verkehr, und Grove musste die Augen zusammenkneifen, um trotz des ungewohnt hellen Lichts die Hinweisschilder zu erkennen.
    Er nahm die Ausfahrt zum Flughafen, und zehn Minuten später stellte er seinen Wagen auf dem Parkplatz für Kurzparker direkt neben dem Terminal ab. Ein Tunnel für Passanten führte in das Gebäude hinein. In

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