Die Eismumie
Verengung in einer seiner Arterien entdeckten, war das für ihn natürlich wie ein Trauma… Er konnte sich in dieser Krankheit weiden – wobei wir hier nicht von einer akuten Infarktgefährdung oder Ähnlichem reden. Es war eine Lappalie, völlig harmlos. So etwas ist heute kein Problem mehr. Die führen einen kleinen Schlauch ein, und dann fräsen sie irgendwie die Ader frei. Bei Richard war das natürlich anders. Mein Gott, wie hat er sich angestellt… Man konnte meinen, die hätten ihm den Penis abgeschnitten – was nicht so schlimm gewesen wäre; er gebrauchte das Ding sowieso seit Jahren nur noch zum Pinkeln.»
Grove erkundigte sich danach, womit Richard Ackerman sein Geld verdiente.
«Er hat sich bei Deloitte & Touche um die Zahlen gekümmert», erwiderte sie mit einem bitteren Ausdruck auf ihrem schmalen, gelifteten Gesicht. «Zahlen, Buchhaltung… wen interessiert das noch? Er ist fort. Ich bekomme das Haus, sobald die Formalitäten erledigt sind, und dann bin ich den Kerl für immer los.»
Grove wählte seine Worte mit Bedacht. «Könnten Sie uns von jenem Tag berichten, als Sie die Mumie gefunden haben?»
Sie zuckte mit den knochigen Schultern. «Was soll damit sein?»
«Ihr Mann ist als Erster über die Mumie gestolpert?»
Ein schmales Lächeln trat auf ihre Lippen. «So kann man es ausdrücken, ja. Er ist wirklich darüber gestolpert.»
«Was ist daran so komisch?»
Sie schaute durch die regennassen Scheiben; die Erinnerung schien sie wahrhaft zu belustigen. «Er kam aus heiterem Himmel auf die seltsamsten Ideen», murmelte sie. «Ohne jegliche Vorbereitung entschied er sich zum Beispiel, den Chicago-Marathon zu laufen, oder er wollte plötzlich an Schwimmwettkämpfen teilnehmen, obwohl er noch nicht einmal zwei Bahnen im Pool schaffte. Richard verliert schnell jedes Maß. Wir befanden uns auf dieser Kreuzfahrt oben in Alaska, und er beschließt auf einmal, dass er diesen blöden Berg besteigen will – »
« – den Mount Cairn?», fragte Grove.
«Ja, ja, Mount Cairn, es hieß nur noch Mount Cairn hier, Mount Cairn da. Eine ganze Woche lang lag er mir mit dieser schwachsinnigen Idee in den Ohren. Dann begann er auf dem Schiff wie ein Berserker zu trainieren; er machte diese lächerlichen Übungen mit, aß rohe Eier, dieser Idiot. Ich sagte zu ihm: ‹Hör jetzt bloß mit diesem Unfug auf!› Schließlich kriegte er mich doch rum. Er warf mich um vier Uhr morgens aus dem Bett, und wir fuhren raus in den Nationalpark, wo wir dann auf diese bescheuerte Klettertour gingen.»
«Planten Sie eine Besteigung mit technischen Hilfsmitteln?», erkundigte sich Zorn.
Sie sah ihn an. «Mit was?»
«Klettern mit technischen Hilfsmitteln, mit Eispickel, Felshaken und Seilen?»
Sie winkte ab. «Um Gottes willen, nein! Eine alte Oma hätte es da oben rauf geschafft. Man kann den ganzen Weg einfach gehen. Du lieber Gott, Mary Kay Cosmetics hat dort oben schon mal ein Geschäftstreffen abgehalten; man muss beileibe kein Profi sein, um dort hinaufzugelangen. Ich spreche dabei selbstverständlich nicht für meinen Ehemann, den Dämlack. Er hat tausende von Dollar für eine teure Ausrüstung verschleudert. Er reißt mich in aller Frühe aus dem warmen Bett und schleppt mich nach draußen, wo es noch stockfinster ist. Und dann rennt er los, verstehen Sie? Wie Sir Edmund Hillary, mit diesem idiotischen Spazierstock. Und ich bilde die Nachhut. Ich bin von Schlamm bedeckt und habe mir ein Loch in meine nagelneue Eddie-Bauer-Fleecejacke gerissen, aber Richard ignoriert das alles und stürmt im Marschschritt einen halben Kilometer voraus. Dann stolpert er – und ich sage Ihnen, so etwas Komisches habe ich mein Lebtag noch nicht gesehen. An der Stelle ging es ein wenig steiler bergauf, und Richard fühlte sich wie Reinhold Messner persönlich. O Gott, es war so komisch. Plötzlich fliegt sein Spazierstock durch die Luft, er fällt auf seinen dummen Arsch und rutscht ungefähr zwanzig Meter bergab. Ich stand daneben und habe mir vor Lachen beinahe in die Hose gepinkelt. Mir liefen die Tränen runter.»
Sie legte eine Pause ein, und Grove fragte sie, was danach geschehen war.
Helen Ackermans Lächeln verschwand. «Der Rest der Geschichte ist nicht mehr so ulkig. Ich meine… als ich gewahr wurde, worüber er gestolpert war… gütiger Gott.»
«Sie sprechen von der Mumie? Er war über die Mumie gestolpert?»
Sie zuckte die Achseln. «Das nehme ich an.»
Grove blickte zu Zorn hinüber, der die Frau abwartend
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