Die Eismumie
besänftigende Stimme: «Fahren Sie bitte fort.»
Helen: «Naja, vergessen Sie nicht, dass ich eigentlich überhaupt nicht auf diesen Berg wollte. Der Schnee und dieser elend kalte Wind – ich hatte die Nase gestrichen voll von diesem Ausflug. Und dann das! Damals wäre ich natürlich nie auf die Idee gekommen, dass wir dort über etwas Wertvolles und Seltenes gestolpert waren. Mein erster Gedanke war, dass es sich um einen Wanderer handelte oder einen Obdachlosen, ja, vielleicht sogar um einen Indianer aus dem Reservat, der besoffen losgegangen und dann erfroren war.»
Grove: «Und was haben Sie dann gemacht?»
Helen: «Ich habe darauf bestanden, dass wir zurückgehen und das abscheuliche Ding zum Anfang des Wanderwegs herunterschaffen und der Polizei übergeben.» Ein kurzes Schweigen. «Hören Sie… ich weiß, dass wir das Ding wohl nicht hätten bewegen sollen. Man hat uns gesagt, dass wir die Mumie tatsächlich beschädigt haben, und dann haben sie uns sogar angedroht, uns zu verklagen. Dieses Arschloch von Detective – Pinksy oder wie er hieß – hat uns gesagt, wir hätten doch tatsächlich der Mumie ihr Ding abgebrochen, als wir sie aus dem Eis gebuddelt haben… Was in Anbetracht von Richards Situation natürlich eine Ironie wäre.»
Zorns Stimme: «Ihr ‹Ding›?»
Helen: «Na, dieses Ding halt – seinen Pimmel, seinen Penis. Ja, wir haben diesem Steinzeitmann wohl seinen blöden Schwanz abgebrochen, der war nämlich weitaus steifer als alles, was Richard jemals in seiner Hose gehabt hat. Mein impotenter Trottel von Ehemann… dessen eigener Schwanz schon seit Jahren außer Betrieb ist!»
Eine weitere Pause auf dem Band, begleitet von einem tiefen Seufzen, das darauf schließen ließ, dass sich Helen Ackerman unbehaglich fühlte.
Natalie Hoberman ergriff das Wort. «Würden Sie das Band kurz anhalten, Ulysses?»
Grove drückte auf die Stopptaste.
«Wird diese Unterhaltung noch interessanter?», fragte sie weiter.
Grove seufzte. «Hören Sie es sich einfach an…»
«Bitte, Natalie. Lassen wir das Band bis zum Ende laufen», griff Geisel ein. «Wir ziehen doch gemeinsam an einem Strang, und im Moment ist dies alles, was wir haben.»
Zorn lehnte sich vor und versetzte Grove einen freundschaftlichen Schlag auf die Schulter. «He, Amigo, warum spulst du nicht zu der Stelle vor, als der Ehemann vermisst wird?»
Grove nahm das Diktiergerät in die Hand und betätigte widerwillig den Vorlauf. Schließlich hatte er die Stelle gefunden, an der es um Richard Ackermans Verschwinden ging. Er stellte den Rekorder wieder auf den Tisch. Helen Ackermans Stimme kreischte aus dem Lautsprecher.
«… daran änderte sich auch nach unserer Heimkehr nichts. Eine ganze Woche lang redete er kaum zwei Wörter mit mir. Wie ein Zombie schlich er durch die Gegend, stieß dauernd gegen Regale, Tischkanten oder die Türrahmen. Er ging nicht ins Büro; er ging nicht auf den Golfplatz; er wollte nicht einmal mehr seine Freunde treffen. Meistens saß er nur da und starrte aus dem Fenster. Beinahe schien es so, als leide er unter einer schweren Depression.»
Grove: «Haben Sie ihn nicht gefragt, was mit ihm los war?»
Helen: «Das wollte ich doch gar nicht wissen. Zwischen uns fand schon seit Jahren kein echtes Gespräch mehr statt. Richard hat immer unter heftigen Stimmungsschwankungen gelitten, und ich vermute seit jeher, dass es sich dabei um bipolare Depressionen handelt. Sein Therapeut ist dem nie auf den Grund gegangen. Und ich bin überzeugt, dass er Richard eine falsche Medikation verabreicht hat.»
Zorn: «Was war mit seiner Firma? Hat man sich nicht nach seinem Verbleiben erkundigt?»
Helen: «Er war Senior Vice President mit einer ganzen Armee von Arschkriechern, die ihm den Rücken freihielten. Wir bekamen ein paar Anrufe von Deloitte, aber er hat nie zurückgerufen. Wenn Sie mich fragen: Nach der Sache mit der Mumie sind bei ihm endgültig die Sicherungen durchgebrannt. Vielleicht hatte er auch so was wie einen Schlaganfall. Wie auch immer. Das spielt alles keine Rolle mehr. Ich bin ihn endlich los.»
Grove: «Erzählen Sie uns davon.»
Helen: «Was meinen Sie?»
Grove: «Sein Verschwinden… die Einzelheiten, die Umstände.»
Helen: «Ich wachte eines Morgens auf und er war… nicht mehr da. So einfach ist das. Und um meine Aussage von vorhin noch einmal zu wiederholen: Richard kümmert mich einen Scheißdreck! Niemand fragt mehr nach ihm… Halt. Einen Moment mal. Warum sind Sie beide eigentlich so
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