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Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Bonansinga
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anstarrte. «Erzählen Sie weiter», drängte er sie mit einem leichten Kopfnicken.
    «Ich stand da knöcheltief im Schnee, versuchte, meine Beherrschung wiederzufinden, und sah Richard, der zu der Mumie zurückkroch, über die er gestolpert war.»
    «Er kroch?»
    «Ich schwöre bei Gott, er kroch wie ein Tier zu dem Ding zurück, ganz langsam. Es war ein erschreckender Anblick.»
    Die Erinnerung an ihren Mann, der durch den Schnee auf die Mumie zukroch, ließ sie verstummen. Das Diktiergerät lief weiter und nahm die bleierne Stille auf.

Kapitel 9
Das Gegenteil von göttlich
     
     
     
    «Richard kriecht hinüber zum matschigen Rand des Weges und starrt auf den Boden. Ich selbst stehe einige Meter hinter ihm und kann nichts erkennen. Es schneite an diesem Tag, und der kalte Wind trieb mir die Tränen in die Augen. Natürlich frage ich mich, was zum Teufel er dort gefunden hat. Richard sagt etwas. Wegen des Windes kann ich es aber nicht verstehen. Dann greift er nach unten und macht ein Gesicht, als würde er in eine Steckdose fassen – ich meine, der Anblick hat ihn vollkommen elektrisiert.»
    Der Kassettenrekorder surrte leise auf dem ovalen Tisch im Konferenzraum in Reston, Virginia. Der Raum war gerade groß genug, dass dieser Tisch sowie ein halbes Dutzend Drehstühle und eine kleine Anrichte darin Platz fanden.
    Groves Stimme krächzte aus dem kleinen Gerät: «Haben Sie eine Vermutung, was er gesagt haben könnte?»
    Helen Ackerman antwortete. «Ich habe nicht die geringste Ahnung. Vielleicht hat er auch nur laut gestöhnt. Sie hätten jedoch seinen Gesichtsausdruck sehen sollen. Ich habe ihn nie danach gefragt… Aber in jenem Moment auf dem Berg bekam ich eine Gänsehaut.»
    Es folgte eine Pause.
    An dem Konferenztisch saßen vier Personen und starrten das Diktiergerät mit finsteren Mienen an. Grove und Zorn hatten beide die Ärmel ihrer Hemden hochgekrempelt und saßen gelassen an einem Ende des Tisches. Tom Geisel lehnte mit den Füßen auf der Tischkante in seinem Stuhl und kaute auf einem Bleistift. Neben ihm saß in einem grauen Kostüm Natalie Hoberman, eine Frau mit eisigem Blick, die Geisel vor einigen Jahren vom Sonderdezernat für Sexualverbrechen abgeworben hatte. Hoberman gehörte inzwischen zur Führungsspitze der Abteilung für Serienverbrechen und wurde bei schwierigen Fällen als zuverlässige Beraterin hinzugezogen. Grove war schon seit jeher gut mit ihr ausgekommen, obwohl sie über ein ausgeprägtes Ego verfügte. Hoberman hielt die Arme vor der Brust verschränkt und hörte sich mit skeptischem Gesichtsausdruck die Aufnahme an.
    «Und wann haben Sie die Mumie gesehen?», durchbrach Groves Stimme aus dem Lautsprecher die Stille.
    «Es war ganz eigenartig… Wie soll ich es beschreiben? Kennen Sie nicht auch diese langweiligen Naturfilme, in denen sie im Schnelldurchlauf zeigen, wie sich eine Blüte öffnet? Wie nennt man das noch gleich?»
    «Zeitraffer?», bot Grove an.
    «Ja, genau. Es war wie im Zeitraffer. Ich sehe, wie Richard nach unten greift und etwas berührt, das nicht wirklich da ist. Mir kam es vor wie ein geschmolzener Eiswürfel, der sich plötzlich wieder in seine ursprüngliche Form verwandelt, so, als spule jemand einen Film zurück. Ich sehe, wie dies abscheuliche, gefrorene Ding vor mir im Schneematsch Gestalt annimmt. Richard macht sich daran zu schaffen, und ich rufe ihm noch zu, er solle nur ja die Finger davon lassen… Ich hatte Angst, er könnte sich mit Tollwut anstecken oder mit irgendwelchen Bakterien infizieren. Er hebt aber nur den Kopf und sieht mich ganz merkwürdig an. Mein Gott, was für ein seltsamer Vogel.»
    Grove: «Könnten Sie seinen Ausdruck beschreiben?»
    Helen: «Ich weiß nicht. Es war, als ob… als ob er einen Geist gesehen hatte.»
    Grove: «Und was geschah dann?»
    Helen: «Er richtete sich mühsam auf, als wäre er betrunken oder so, und dann stand er nur da und starrte mich so merkwürdig an, dass es mich gruselte.»
    Zorn schaltete sich in das Gespräch ein. «Und was haben Sie dann getan?»
    Helen: «Ich habe mich näher an dieses Ding herangewagt. Der seltsame Blick von Richard war das eine! Aber wie das Gesicht von dieser Leiche aussah…es war grässlich. Ich meine, ich hatte bis dahin noch nie einen Toten gesehen. Inzwischen haben die Forscher ja herausgefunden, dass dieser Mensch aus irgendeiner Vorzeit stammt. Damals wusste ich das freilich nicht. Ich drehte völlig durch.»
    Eine kurze Stille. Dann erklang wieder Groves

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