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Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Bonansinga
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ungelenker Haltung gefroren in die Höhe ragt. Und zwei verkümmerte, braune Beine; die Füße liegen übereinander. Wie Christus. Wie Christus am Kreuz. Aber diese Gestalt ist das Gegenteil von göttlich. Diese Gestalt ist traurig und verlassen, ein Bündel verdorrter Haut, eingefroren im Eis eines Gletschers.
    Er kommt näher und sieht hinunter in das uralte leichenhafte Gesicht.
    Ein jähes Verlangen steigt in ihm auf – das Verlangen, zu berühren. Er spürt Abscheu und Faszination.
    Die Haut auf den Wangenknochen fühlt sich wie Papier an.
    Plötzlich durchfährt ihn etwas… Etwas, das sich wie ein eisiger elektrischer Strom in seinen Körper frisst. Funken sprühen aus dem Fleisch der Mumie – die uralten Augen öffnen sich. Er kann nicht atmen. Er kann nicht sprechen. Mit seinem warmen Atem haucht er das stumme Entsetzen aus.
    Instinktiv zuckt er zurück, als hätte er einen Schlag bekommen. Jetzt fixieren ihn die strahlend gelben Pupillen des Leichnams, und ein Lächeln zupft an den Mundwinkeln der Mumie. Nur dass es kein Lächeln ist. Es ist eine grinsende Fratze, eine alterslose, ewige, allwissende und gähnende Todesgrimasse, die sich weitet und weitet, bis der Mund der Mumie zu einer Türöffnung wird, zu einem Portal in ein schwarzes Nichts.
    Der Mann aus dieser Zeit versucht zu schreien, aber kein Ton will seinen Lungen entweichen, als eine Flutwelle dunkler Energie ihn durchströmt…
    … ihn tauft, ihn überschwemmt, ihn verändert.
    Ihn vorbereitet für seine Mission.

Kapitel 10
Der Jäger
     
     
     
    Grove eilte die Treppen des Annexgebäudes in Reston hinunter und plagte sich mit seinem Regenschirm ab. Neben ihm lief Zorn, der den Ausgang der Konferenz leicht ironisch als äußerst positiv bewertete. Es regnete in Strömen, und als sie ins Freie traten, packte sie eine kräftige Windböe. Am Himmel zuckten wütende Blitze. Die beiden Männer duckten sich und rannten hinüber zum Parkplatz, wo sie ihren Wagen abgestellt hatten. Es donnerte laut, und die Luft erbebte spürbar.
    Als sie in den Wagen gestiegen waren, prasselte der Regen so laut auf das Blechdach, dass Grove das Klingeln seines Handys beinahe überhört hätte. «Das ist Maura», verkündete er mit kaum verhohlener Freude, nachdem er das Telefon aus der Innentasche seines Jacketts gezogen und auf das Display geschaut hatte.
    «Wer?» Zorn wischte sich die Regentropfen von der Glatze.
    «Die Journalistin vom Discover Magazine.» Grove nahm den Anruf entgegen und sprach in das Handy: «Ist dort die berühmte Maura County?»
    «Vertrauter Tonfall zwischen den beiden», murmelte Zorn, startete den Wagen und steuerte ihn vom Parkplatz.
    Grove hörte Mauras unverkennbare, raue Stimme. «Wenn das nicht der weltbekannte Profiler Ulysses Grove ist», erwiderte sie seine Begrüßung. «Wie geht’s mit den Ackermans voran?»
    «Lange Geschichte und sehr interessant», antwortete Grove, der beschlossen hatte, die Einzelheiten erst einmal für sich zu behalten. «Sind Sie wieder in Frisco?»
    «Bin ich, und ich habe Neuigkeiten für Sie.»
    «Was gibt es?»
    «Es ist etwas passiert. Und Sie werden es kaum glauben.»
    Grove sah hinaus in den Regen. «Um ehrlich zu sein – inzwischen bin ich so weit, dass ich so gut wie alles glaube.»
    «Ich möchte nicht melodramatisch klingen, aber es ist etwas, das Sie mit eigenen Augen sehen müssen, um es glauben zu können.»
    «Ich bin ganz Ohr», sagte Grove. «Erzählen Sie mir, was passiert ist.»
    «Lassen Sie mich Ihnen zuerst eine Frage stellen.» Maura senkte die Stimme, als fürchtete sie, jemand könnte ihre Unterhaltung mithören. «Können Sie herkommen? Ich meine, auf der Stelle. Nehmen Sie den nächsten Flieger und kommen Sie her.»
    Grove warf einen Blick auf Zorn, der vor Neugierde schier platzte. «Sie meinen, ich soll nach San Francisco kommen?», fragte Grove in sein Handy.
    «Das Magazin bezahlt die Reise. Mehr als vier Stunden dauert der Flug vom O’Hare Airport nicht. Oder?»
    «Das ist wohl wahr. Von Chicago aus könnte ich tatsächlich in vier Stunden bei Ihnen sein. Das Problem ist aber: Ich bin nicht mehr in Chicago, sondern in Quantico, in Virginia. Was ist los? Warum haben Sie es so eilig?»
    Maura antwortete erst nach einer kleinen Pause. «Erinnern Sie sich an die E-Mail, die wir an die Archäologen geschickt haben?»
    «Sicher. Ihre Idee mit dem prähistorischen VICAP.»
    «Genau… na ja, ich hab einige Reaktionen auf das Schreiben erhalten.»
    Grove lauschte gespannt.

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