Die Eisprinzessin schläft
seiner Ecke des Sofas und nippte an dem Wein. Flasche Nummer zwei war schon bald ausgetrunken, und beide spürten die Wirkung des Getränks. Die Glieder waren schwer und heiß, und der Kopf schien in schmeichelnde Watte verpackt. Die Nacht vor dem Fenster war pechschwarz, und nicht ein einziger Stern erleuchtete den Himmel. Die kompakte Finsternis vor dem Haus vermittelte das Gefühl, als seien sie in einen großen Kokon gehüllt. Die Illusion, die einzigen Menschen auf der Erde zu sein, war total. Erica konnte sich nicht erinnern, daß sie sich je so zufrieden, je so zu Hause im eigenen Dasein gefühlt hatte. Sie ließ die Hand mit dem Weinglas durch die Veranda schweifen, und es glückte ihr, mit dieser Geste zu zeigen, daß sie das ganze Gebäude meinte. »Kannst du begreifen, daß Anna das hier verkaufen will? Nicht nur, daß es einfach das schönste Haus ist, was es gibt, in den Wänden steckt auch Geschichte. Und da meine ich nicht nur Annas und meine Geschichte, sondern die jener Menschen, die vor uns hier gewohnt haben. Weißt du, daß es ein Schiffskapitän gewesen ist, der dieses Haus 1889 für sich und seine Familie errichten ließ? Kapitän Wilhelm Jansson hieß er. Es ist übrigens eine ziemlich traurige Geschichte. Wie so viele andere in diesem Ort. Er baute das Haus für sich und seine junge Frau Ida. Sie bekamen fünf Kinder in genauso vielen Jahren, aber beim sechsten Kind starb Ida im Wochenbett. Zur damaligen Zeit gab es so was wie alleinerziehende Väter noch nicht, also zog seine unverheiratete ältere Schwester bei ihm ein und kümmerte sich um die Kinder, während er auf den sieben Meeren herumfuhr. Seine Schwester Hilda war als Stiefmutter nicht die beste Wahl, die er hatte treffen können. Sie war die frommste Frau weit und breit, und das besagt nicht wenig, wenn man bedenkt, wie strenggläubig die Leute hier waren. Die Kinder durften sich kaum rühren, ohne daß man ihnen Sündhaftigkeit vorwarf, und die Prügel, die sie erhielten, wurden von Hilda mit harter, gottesfürchtiger Hand ausgeteilt. Heute würde man sie wohl eine Sadistin nennen, aber damals ließ sich so was wunderbar unter dem Deckmantel der Religion verbergen. Kapitän Jansson war nicht oft genug zu Hause, um zu sehen, wie schlimm die Kinder dran waren, aber er muß seine Vermutungen gehabt haben. Doch nach Männerart meinte er, Kindererziehung sei Frauensache und daß er seine väterlichen Pflichten erfülle, indem er dafür sorgte, daß sie ein Dach über dem Kopf und Essen auf dem Tisch hatten. Bis er eines Tages nach Hause kam und entdeckte, daß seine jüngste Tochter Märta eine Woche lang mit gebrochenem Arm herumgelaufen war. Da flog Hilda mit Donner und Getöse raus, und der Kapitän, der ein Mann der Tat war, suchte sich unter den unverheirateten Frauen der Gegend eine geeignete Ziehmutter für die Kinder. Er traf eine gute Wahl. Innerhalb von zwei Monaten hatte er eine tüchtige Bauerntochter mit Namen Lina Mänsdotter geehelicht, und sie nahm die Kinder an ihr Herz, als seien es ihre eigenen. Sieben weitere bekamen sie obendrein gemeinsam, also muß es hier ziemlich eng gewesen sein. Wenn man genau hinsieht, kann man noch Spuren von ihnen sehen. Kleine Kerben und Löcher und abgewetzte Stellen überall im Haus.«
»Wie kam es, daß dein Vater das Haus gekauft hat?«
»Die Geschwister zerstreuten sich mit der Zeit in alle Winde. Kapitän Jansson und seine Lina, die sich mit den Jahren sehr gern gehabt hatten, machten die Augen zu. Der einzige, der im Haus verblieb, war der älteste Sohn Allan. Er hat nie geheiratet, und als er älter wurde, kam er mit dem Haus allein nicht zurecht und entschloß sich, es zu verkaufen. Meine Eltern hatten gerade geheiratet und suchten eine Bleibe. Vater hat erzählt, daß er sich auf der Stelle in das Haus verliebte. Er hat nicht eine Sekunde gezögert. Als Allan das Haus an Vater verkaufte, hat er ihm auch die Geschichte übergeben. Die Geschichte des Hauses und die seiner Familie. Es sei ihm wichtig, hat er gesagt, daß Vater diejenigen kannte, deren Füße die alten Holzfußböden abgewetzt hatten. Er hat auch Papiere hinterlassen. Briefe, die Kapitän Jansson von allen Enden der Welt geschickt hatte, zunächst an seine Frau Ida, dann an Lina. Er hat auch die Rute hier gelassen, die Hilda benutzte, um die Kinder zu bestrafen. Sie hängt noch immer im Keller. Anna und ich sind, als wir klein waren, manchmal runtergegangen und haben sie befühlt. Wir hatten die Geschichte über
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