Die Eisprinzessin schläft
sie hoffte, bei mir vielleicht mehr davon zu finden. Und so war es ja auch. Dann hat sie eine Menge Fragen gestellt über früher. Man hatte mir erzählt, daß sich die Schwestern nicht besonders nahestanden, was bei dem Altersunterschied nicht sehr verwunderlich ist, ja, und jetzt wollte sie wohl mehr über Alex erfahren. Wollte sie kennenlernen. Den Eindruck hatte ich jedenfalls. Hast du Julia übrigens schon mal getroffen?«
»Nein, noch nicht. Aber wie ich gehört habe, sind oder waren die beiden sich nicht besonders ähnlich.«
»Nein, weiß Gott. Sie sind eher totale Gegensätze, jedenfalls dem Äußeren nach. Die Verschlossenheit scheint Julia mit Alex gemeinsam zu haben, obwohl bei der jüngeren Schwester eine Mürrischkeit zu finden ist, die es bei Alex meines Erachtens nicht gab. Alex wirkte mehr, wie soll ich sagen … gleichgültig, zumindest hat man mir das so erzählt. Julia ist eher erbost. Oder sogar wütend. Auf mich wirkt es, als würde es unter ihrer Oberfläche brodeln und gären. Ein bißchen wie bei einem Vulkan. Ein schlafender Vulkan. Klingt das verworren?«
»Nein, das finde ich nicht. Ich vermute, als Schriftstellerin hat man Fingerspitzengefühl für Menschen. Weiß etwas über die menschliche Natur.«
»Äh, bezeichne mich nicht als Schriftstellerin. Ich finde, daß ich das noch nicht verdient habe.«
»Vier publizierte Bücher, und du findest immer noch nicht, daß du eine Schriftstellerin bist?« Patrik wirkte völlig verständnislos, und Erica versuchte ihm zu erklären, was sie meinte.
»Ja, vier Biographien und die fünfte in Arbeit. Ich will das nicht herabsetzen, aber für mich ist ein Schriftsteller jemand, der etwas schreibt, das aus seinem eigenen Herzen und dem eigenen Hirn kommt. Und nicht einer, der nur vom Leben eines anderen erzählt. An dem Tag, an dem ich etwas geschrieben habe, das ganz aus mir kommt, kann ich mich eine Schriftstellerin nennen.«
Ihr fiel plötzlich auf, daß die Sache nicht ganz der Wahrheit entsprach. Nach dieser Definition gab es eigentlich keinen Unterschied zwischen den Biographien, die sie über authentische Persönlichkeiten geschrieben hatte, und dem Buch, mit dem sie sich jetzt beschäftigte und das von Alex handelte. Auch hier ging es um das Leben eines anderen Menschen. Aber irgendwie war es trotzdem anders. Einerseits tangierte Alex’ Leben ihr eigenes auf höchst konkrete Weise, und andererseits konnte sie in dem Text etwas Eigenes ausdrücken. Sie schuf, im Rahmen der tatsächlichen Ereignisse, dennoch die Seele des Buches. Noch aber vermochte sie Patrik das nicht zu erklären. Niemand durfte wissen, daß sie ein Buch über Alex schrieb.
»Also Julia ist gekommen und hat eine Menge Fragen zu Alex gestellt. Hast du Gelegenheit gehabt, sie nach Nelly Lorentz und ihrem Verhältnis zu ihr zu fragen?«
Erica führte einen heftigen inneren Kampf und kam zu dem Schluß, daß sie Patrik diese Information nicht guten Gewissens vorenthalten konnte. Vielleicht vermochte er Schlußfolgerungen daraus zu ziehen, die sie nicht gesehen hatte. Es ging um das kleine, wesentliche Puzzlestück, das sie ihm nicht hatte erzählen wollen, als sie bei ihm zum Essen war. Da sie mit der Sache nicht sehr viel weitergekommen war, sah sie keinen Grund mehr, sie noch immer zu verschweigen. Aber erst einmal wollte sie das Hauptgericht auf den Tisch bringen.
Sie beugte sich vor, um seinen Teller zu nehmen, und nutzte die Gelegenheit, es besonders tief zu tun. Die Trumpfkarten, die sie in der Hand hatte, gedachte sie so gut wie möglich auszuspielen. Nach Patriks Gesichtsausdruck zu urteilen, saß sie mit drei Assen da. Bisher hatten sich also die fünfhundert Kronen, die sie für ihren Wonderbra hingeblättert hatte, als gute Investition erwiesen. Auch wenn ihr Portemonnaie beim Einkauf ordentlich gefleddert worden war.
»Laß mich das machen.«
Patrik nahm ihr die Teller ab und folgte ihr in die Küche. Sie goß die Kartoffeln ab und beauftragte ihn, sie durch die Kartoffelpresse in eine große Schüssel zu quetschen. Unterdes ließ sie die Soße ein letztes Mal aufkochen und schmeckte sie ab. Ein Schluck Portwein und ein ordentlicher Klecks Butter dazu, dann konnte sie serviert werden. Kalorienarme Sahne kam dafür nicht in Frage. Jetzt mußte nur noch das in Blätterteig gebackene Filet aus dem Ofen genommen und in Scheiben geschnitten werden. Es sah perfekt aus. Leicht rosa im Inneren, aber ohne den roten Saft, der signalisierte, daß das Fleisch nicht
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